O.T.
Grund sind in meinen Augen die Auswirkungen des (Finanzmarkt-) Kapitalismus, der in hohem Maße wenige (deutliche) "Gewinner" und viele (deutliche) "Verlierer" produziert und gleichzeitig bei letzteren extreme Wünsche und Aufstiegshoffnungen erzeugt und durch die hohe Konkurrenz zwischen Menschen (Arbeits-/Produktivkraft) und Staaten (Standortwettbewerb, Ressourcen) gleichzeitig Solidarität und Empathie (gerade für "Fremde" und "Andersartige") verringert. Dadurch wird eine unauflösbare Polarität erzeugt zwischen Gewinnern (globale, multi-/transnationale Verankerung) und Verlierern (lokale Verankerung), der zu verstärkt xenophoben Tendenzen führt.
Aber sag das denen mal...
Da bin ich anderer Ansicht. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und irrationale Wut von Verlierern oder gesellschaftlich Abgehängten, die sich als Katalysator der eigenen Ohnmacht gegen Randgruppen, Minderheiten und diejenigen richtet, die sich nicht wehren können, hat es auf der ganzen Welt zu allen Zeiten und in jeder Gesellschaftsform immer und überall gegeben.
Es ist keine Eigenheit des Kapitalismus, dass es diese Auswüchse gibt, sondern das sind Eigenheiten und Verirrungen des menschlichen Geistes, die sich immer dann Bahn brechen, wenn es gesellschaftliche, soziale oder politische Notlagen jedweder Art gibt, für die man einen Sündenbock sucht. Historische Beispiele gibt es dafür genug.
- Im alten Rom gab es Christenverfolgungen, weil die Christen als monotheistische Minderheit die römischen Götter und damit auch das divinisierte Prinzipat nicht als Oberhoheit anerkennen wollten und damit sowohl dem römischen Staat, als auch der Mehrheitsgesellschaft suspekt waren, was Xenophobie und Gewaltausbrüche hervorgerufen hat.
- Im 4. Jahrhundert wiederum wurden, nachdem das Christentum Staatsreligion war, wiederum polytheistische Religionen gewaltsam verfolgt und der Spieß einfach umgedreht.
- Die Kreuzzüge sind ein einziges, 200 Jahre andauerndes Beispiel für religiös verbrämte Eroberungsfeldzüge, in denen abertausende andersgläubige Zivilisten aus religiöser Intoleranz ebenfalls umgebracht, umgesiedelt und unterdrückt wurden.
- Mitte des 14. Jahrhunderts haben die Menschen in Europa z.B. die Juden für den Ausbruch und die Verbreitung der Pest verantwortlich gemacht und zu Tausenden abgeschlachtet.
- Im Rahmen der Reconquista wurden in Spanien die Minderheiten der jeweils anderen Religion in den jeweils eroberten Gebieten aus reiner Intoleranz unterdrückt und z.T. gewaltsam verfolgt.
- Und, als letztes Paradebeispiel: Die Verbrechen des NS-Staates und in der Sowjetunion unter Stalin gegen eine große Bandbreite an Minderheiten, die zig Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Beide Systeme haben Rassismus und Intoleranz propagiert und die den Menschen innewohnenden fremdenfeindlichen Tendenzen für ihre Zwecke instrumentalisiert. Und der NS-Staat hat die konkrete Verwirklichung seiner Absichten sogar erst in vollem Umfang vollkommen unverhüllt in ihrer ganzen schrecklichen Dimension gezeigt, als die Machthaber sich sicher waren, dass ihr System durch wirtschaftliche Scheinerfolge und gesellschaftliche Durchdringung soweit konsolidiert war, dass alle moralischen Ressentiments in der Bevölkerung entweder als vernachlässigbar hingenommen wurden oder unter den wenigen verbliebenen moralisch Aufrechten zumeist aus Angst vor Repressionen geschwiegen wurde.
Der Kapitalismus ist nicht immer und überall an allem schuld. Das mir zu eindimensional.
O.T.