Was ist denn "rationale Politik"? Der Neusprech von "Sachzwängen" und "alternativloser Politik" ist doch auch bloß ein Totschlagargument und hat nichts mit Rationalität zu tun.
Schröders Politik war im Rückblick reinste Klientelpolitik, nicht umsonst sprangen bspw. für Clement und Schröder nette Posten in der freien Wirtschaft dabei raus.
Wenn diese Regierungszeit unter "rationale Politik" fällt, dann schaue ich mir umso aufgeschlossener an, was die "irrationale Politik" so zu bieten hat.
Auch wenn der beitrag schon etwas laenger zurueck liegt, wuerde ich gerne hierzu noch was schreiben! Mir geht es um mein liebstes politisches unwort: sachzwaenge!
Ich teile klingenstaedters bewertung dieses wortes als totschlagargument voll und ganz, moechte aber hinzufuegen, dass dieser begridf mitnichten eine erfindung der neuzeit ist. Der (konservative) soziologe helmut schelsky hat sich schon in den 50ern sehr kritisch mit diesem begriff auseinandergesetzt und ihn versucht mit hinblick auf die nachkriegsgesellschaft zu widerlegen ("die skeptische generation"). Wer also wissen will, wieso der begriff der politischen sachzwaenge (ein sehr deutscher begriff nebenbei bemerkt) kompletter unfug ist, dem sei schelsky zur lektuere empfohlen. Inhaltlich ist dem bis heute sogut wie nichts hinzuzufuegen,
In der politik gibt es keinen zwang aus der sache heraus! Es gibt immer - ich wiederhole - immer eine Alternative! Bei einzelnen konkreten politischen entscheidungen gibt es ein richtig oder falsch? Versucht mal ein beispiel zu finden; das wird schwer! Einzig bei technischen fragen gibt es ein klares richtig oder falsch - und das ist nicht mehr politisch! Aber das soll nicht vom thema ablenken, denn die angeblichen sachzwaenge liegen nicht auf der ebene der konkreten entscheidungen, sondern meist sogar auf politisch-strategischer ebene. Klassisches Beispiel: es herrscht ein sachzwang, eine rigorose sparpolitik zu fahren! Der zusammenhang wirkt betoerend logisch: kein geld in der kasse, also muessen wir sparen. Da kann man ja wohl schlecht widersprechen! Stimmt auch, aber so einfach ist die wirklichkeit nicht. Wenn der politiker den sachzwang voranstellt, will er am ende nur seinem politischen kurs die letzte unwiderlegbare absolution erteilen. Man muesse jetzt sozialkuerzungen hinnehmen, weil es nicht anders ginge! Man koennte aber auch in anderen bereichen sparen, versuchen die einnahmen zu erhoehen oder kredite aufnehmen. Man kann das eine besser als das andere halten und die zukunft wird moeglicherweise beweisen, dass das eine besser als das andere war. Aber man hat IMMER eine wahl! Und darum streiten wir in der politik und darum gehen wir waehlen, auch wenn uns zugegeben immer schwerer faellt die alternativen zwischen den einzelnen parteien auszuwaehlen.
Politik ist immer auch ein aushandeln von interessenskonflikten. Wie kann es da sachzwaenge geben? Wie verhalten sich minderheitenschutz oder sozialfuersorge zu den sachzwaengen? Wie lassen sich ethische werte bei politischen entscheidungen damit in einklang bringen, wenn alles doch am ende den sachzwaengen unterliegen wuerde? Was ist mit umweltschutz?
Angenommen es gaebe sie wirklich, die sachzwaenge, wie waere unsere gesellschaft dann? Dann braeuchten wir gar keine politik mehr, sondern am ende koennte ein computerprogramm unsere entscheidungen ausrechnen. Das klingt nur auf den ersten blick verfuehrerisch. Wir braeuchten keine politischen visionen mehr und waeren als mensch, buerger und herr unserer eigenen entwicklung entmuendigt. Wenn wir in der geschichte nicht immer wieder die wahl gehabt haetten, dann haette es nie fortschritt gegeben.
Ein Politiker, der euch was von sachzwaengen vorgaukeln moechte, entmuendigt euch von jeder form politischen denkens und spricht euch jede entscheidungsfaehigkeit ab! Hier werdet ihr unter wert verkauft! Er moechte euch nur weismachen, dass er denn sachverhalt voll durchblickt hat und es nur die eine loesung gibt, die er auch gleich parat hat! Euch bleibt nur noch - logischerweise und aus dem zwang der sache heraus - ihm seine stimme zu geben!
Sachzwaenge sind eine gefahr fuer die demokratie und fuehren auf der ueberholspur in die politikverdrossenheit!
Beste gruesse aus der Ferne!
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