Das Jahrhunderttor mit der Hacke
120.000 Zuschauer sahen Fritz Walters legendären Treffer in Leipzig
Am 6. Oktober 1956 trafen im zwei Monate zuvor feierlich eröffneten Zentralstadion in Leipzig der 1. FC Kaiserslautern und der
SC Wismut Karl-Marx-Stadt (der heutige FC Erzgebirge Aue) in einem Freundschaftsspiel aufeinander. Knapp 120.000 Zuschauer sahen den
zu dieser Zeit absolut außergewöhnlichen Vergleich zwischen Vereinsmannschaften aus Ostdeutschland und aus der Bundesrepublik in dem
damals größten Fußball-Stadion Deutschlands.
Die „Roten Teufel“ siegten 5:3, aber den Zuschauern blieb vor allem Fritz Walters legendäres Hacken-Tor in Erinnerung. Gerade deswegen,
weil es von diesem außergewöhnlichen Moment, wie vom gesamten Spiel, keinerlei Fernsehaufnahmen gibt. Lediglich ein Foto ist der
Nachwelt erhalten geblieben. Der Reporter Peter Beyer hatte das glückliche Händchen, angeblich bekam er für das Foto 23 Mark. Viele Reproduktionen waren mit einer nachträglich eingezeichneten weißen Linie versehen, mit deren Hilfe die Flugbahn des Balles gezeigt
werden sollte.
Ein Dokument deutscher Fußball-Geschichte
Ob mit oder ohne Strich: Das Bild ist mittlerweile ein Dokument deutscher Fußball-Geschichte. Weil es eben ein „Jahrhundert-Tor“ war.
In seinem Fußball-Lehrbuch „So habe ich’s gemacht...“ erinnert sich Fritz Walter an den wohl schönsten Treffer seiner nicht gerade torarmen Laufbahn: „Der von rechts kommende Flankenball senkte sich hinter meinem Rücken. Da ließ ich mich nach vorne fallen, fast in den
Handstand und schlug mit der Hacke zu. Aus zwölf, fünfzehn Metern Entfernung flog der Ball haarscharf ins obere Toreck. Dass es ein
Tor wurde, war (...) Glück. Dass ich in dieser Situation aber überhaupt an den Ball kam und ihn traf, das war kein Glück.“
„Fünf Minuten italienisch“
Fritz Walter hatte die Bewegung vielmehr verinnerlicht. Eingeschliffen im Training auf dem Betzenberg, wenn es zum Spaß hieß: „Jungs,
jetzt spielen wir mal fünf Minuten italienisch.“ Gerhard Ahrens berichtet, dass er solche Tore öfter machte. Fritz selbst meinte dazu:
„Natürlich lassen sich im Spiel solche Szenen nicht erzwingen. Und man sollte das auch gar nicht erst versuchen: Denn auf normale Art
schießt es sich halt doch besser. Wenn aber einmal ein Ball nicht anders zu erreichen ist als mit dem Absatz, dann unterscheidet sich
der gute Stürmer insofern vom schlechten, als er auch in dieser Lage die richtige Antwort weiß.“ jv
Das Leben nach der Zeit als aktiver Fußballer
Herausragendes soziales Engagement und einzigartige Ehrungen
Fritz Walter engagierte sich in seinem Wohnort Alsenborn für den Sportverein und schaffte es ab 1962 dreimal hintereinander aufzusteigen.
Er hatte mit Willi Hölz, Otto Render und Erwin Rödler drei ehemalige Rote Teufel verpflichtet, danach kam noch Gerhard Ahrens dazu und
schaffte es bis in die zweithöchste Spielklasse der damaligen Zeit, die Regionalliga Südwest.
Erfolgsstory mit dem SV Alsenborn
1968 errang er die Meisterschaft und wurde dritter der Aufstiegsrunde. Nur der Erste kam in die Bundesliga: Hertha BSC. Ein Jahr später
wurde Alsenborn wieder Meister und es fehlte nur ein Punkt zur Bundesliga. 1970 versuchte es Alsenborn ein drittes Mal und wurde
wieder nur Dritter. Danach verließen 31 Spieler den Verein. Auch Fritz Fuchs und Walter Frosch spielten beim Alsenborn, bevor sie zum
1. FCK wechselten.
Fritz Walter blieb bis zu seinem Tod bodenständig und natürlich. Er war allen Menschen gegenüber freundlich, konnte keine Bitte
abschlagen und engagierte sich sozial. Er betrieb mit seiner Frau Italia ein Kino in der Karl-Marx-Straße und eine Wäscherei.
Viele Jahre war er Repräsentant der Sepp-Herberger-Stiftung - aus Verbundenheit zum „Chef“. Die Stiftung kümmerte sich um die
Resozialisierung jugendlicher Straftäter.
Gründung der Fritz-Walter-Stiftung
1999 wurde vom Deutschen Fußball-Bund, dem Land Rheinland-Pfalz, dem DFB-Sportförderverein und dem 1. FCK die Fritz-Walter-Stiftung gegründet. Sie fördert die allgemeine sportliche Jugendarbeit und unterstützt auch Maßnahmen zur Integration von Jugendlichen in die
Gesellschaft sowie die Leistung eines Beitrages zur Völkerverständigung vor allem mit den mittel- und osteuropäischen Staaten.
Kein Fußballer wurde mehr geehrt als Fritz Walter. Er war der erste Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft,
das Betzenberg-Stadion wurde in Fritz-Walter-Stadion umbenannt und bekam das Bundesverdienstkreuz. Die einzige Ehrenbürgerschaft
des Landes Rheinland-Pfalz, die er zu seinem 80. Geburtstag bekam, wurde für ihn erfunden, da er alle anderen Auszeichnungen schon hatte.
Eine Stadt und eine ganze Nation trauern
Am 17. Juni 2002 starb Fritz Walter. Kaiserslautern und ganz Deutschland trauerten um ihn. Nur kurze Zeit nach dem Tod seiner geliebten
Frau Italia war er im Alter von 81 Jahren in Enkenbach-Alsenborn verstorben. Die deutsche Nationalmannschaft gedachte ihm beim
WM-Spiel gegen die USA (in Japan/Südkorea) mit einer Schweigeminute. Bei der bewegenden Trauerfeier im Fritz-Walter-Stadion sagte
der damalige DFB-Präsident Mayer-Vorfelder: „Fritz Walter war mehr als ein Vorbild und Idol - er ist ein Mythos.“ Auch die Westkurve
gedachte mit einer Choreographie beim ersten Heimspiel des FCK (gegen Schalke) der neuen Saison dem Idol.
An seinem vierten Todestag fand in „seinem“ Stadion das WM-Spiel Italien - USA statt. Gerne hätte Fritz Walter ein Spiel der WM 2006
auf dem Betzenberg erlebt. Ohne sein Engagement im Vorfeld wäre Kaiserslautern nicht Austragungsort der Weltmeisterschaft geworden.
Bei diesem Spiel fand im Stadion abermals eine Gedenkminute für Fritz Walter statt. Er ist damit der Einzige, dem bei zwei WM-Turnieren
gedacht wurde. jv
„Fritz Walter: Ein Jahrhundert-Fußballer“
Dokumentation im SWR-Fernsehen
Das SWR Fernsehen zeigt am Jubiläumstag die 45-minütige Doku „Fritz Walter: Ein Jahrhundert-Fußballer“. Die SWR-Produktion von
Gabriele Trost zeichnet wichtige Stationen seiner sportlichen Laufbahn und seinen späteren Lebensweg nach. Im Film erinnern sich Menschen
an Fritz Walter, die ihn lange begleitet haben. Miroslav Klose, Otto Rehhagel, Markus Merk und Stefan Kuntz sprechen über ihn als Fußballprofi,
aber auch als einen Menschen, der sie durch seine Bescheidenheit und Zugewandtheit in seinen Bann gezogen hat. Und Fans schildern, welche Bedeutung er für sie und den 1. FC Kaiserslautern heute noch hat.
„Je länger ich mich mit ihm beschäftigt habe, umso faszinierter war ich, welche Wirkung er auf Menschen, die ihm begegnet sind, hatte.
Und ich bin überzeugt, das hatte auch, aber eben nicht nur mit seinem Ruhm als Weltmeister zu tun. Ich habe leider nicht herausgefunden,
wie er das gemacht hat, aber ich denke, er muss den Menschen mit Respekt, Empathie und auf Augenhöhe begegnet sein,“ so Filmemacherin Gabriele Trost nach der Vorpremiere des Films. ps/bas
Ausstrahlung
ie Dokumentation „Fritz Walter: Ein Jahrhundert-Fußballer“ wird am Samstag, 31. Oktober, um 21.50 Uhr im SWR Fernsehen
gezeigt und ist danach für fünf Jahre in der ARD Mediathek abrufbar.
Sonderpostamt im Stadtmuseum
Zum 100. Geburtstag Fritz Walters
Stadtmuseum. Am 31. Oktober 2020 wäre Fritz Walter 100 Jahre alt geworden. Im Stadtmuseum Kaiserslautern (Theodor-Zink-Museum, Wadgasserhof) wird aus diesem Anlass an diesem Tag vom Team „Erlebnis: Briefmarken“ der Deutschen Post ein Sonderpostamt
eingerichtet, bei dem neben dem allgemeinen Briefmarkensortiment die am 1. Oktober herausgegebene Sonderbriefmarke zum
100. Geburtstag Fritz Walters im Nominal von 0,95 Euro verkauft wird.
Nur an diesem Tag wird es auch einen von der Post gestalteten Sonderumschlag inklusive eigenem „Geburtstagsstempel“ geben.
Der Verkauf findet in der Scheune des Museums zu den regulären Öffnungszeiten, 11 bis 18 Uhr, statt. Der Eintritt ist frei.ps
SÜWE - Wochenblatt Kaiserslautern Süd - Nr. 166 Mittwoch, den 28. Oktober 2020