Guter Ultra,
böser Fan
Die Gewalt in Fußballstadien
alarmiert die Politik. Wir
haben einen Fanexperten
zu einer Gruppe befragt, die
derzeit in aller Munde ist.
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[size=-2]VON WILLI REINERS[/size]
Herr Goll, was ist eigentlich ein Ultra?
Ultras tauchten zuerst in Südeuropa auf, besonders italienische Fans waren
stillbestimmend. Gegen Ende der 90er Jahre wurden bei uns die ersten Gruppen
gegründet, etwa in Frankfurt, Nürnberg und Stuttgart. Sie distanzierten sich
ganz bewußt von den Hooligans, aber auch von den in Fanclubs organisierten
Kuttenträgern. Die einen prügelten, die anderen soffen, damit wollten die Ultras
nichts zu tun haben. Sie brachten einen echten Modernisierungsschub für die
Fankurven, wo oft Tristesse herrschte.
Inwiefern?
Ultras wollen die eigene Mannschaft kreativ anfeuern und nicht rumproleten. Das
war und ist absolut positiv für die Atmosphäre. Für die meisten jungen Leute, die
heute ins Stadion gehen, führt an den Ultras kein Weg vorbei. Es sind die coolsten
und fröhlichsten, aber auch die wildesten Fans.
Ultras gelten als besonders engagierte Fußballanhänger. Wie zeigen sie das?
Durch Gesänge, Fahnenschwenken und Choreografien, bei denen Hunderte Fans
zusammen agieren und komplexe Tribünenbilder zeigen. Auch bengalische Feuer
gehören dazu. Immer wichtiger wird, dass Ultras sich als Repräsentanten ihrer Stadt
und ihres Vereins verstehen. Dabei blenden sie oft den aktuellen Spielerkader aus.
Da ist dann zu hören, dass man sich die Namen der Spieler nicht merken müsse, weil
die ja in ein paar Monaten ohnehin woanders wieder anheuern.
Ein Statement gegen die Komerzialisierung. Sind Ultras Konservative, die für die
guten alten Werte des Sports stehen?
Auf jeden Fall sind sie sehr traditionsbewußt. Das zeigt sich auch darin, dass sie die
Stadien bei ihren angestammten Namen nennen. Sponsorennamen werden ignoriert.
Wer ist aktuell in den Stadien tonangebend? Spielen Hooligans noch eine Rolle?
Die Hooligans sind immer noch da, sie sind aber älter geworden. Wenn es um Konflikte
im Stadion geht, muss man sich mit ihnen nicht mehr befassen, die toben sich
höchstens außerhalb noch aus.
Demnach sind für die aktuellen Gewaltausbrüche die Ultras verantwortlich?
Ich weiß nicht, ob es immer Ultras sind. Selbst sagen sie oft, dass die Übeltäter nicht
aus ihren Kreisen kommen. Das ist nicht immer nur eine Ausrede. Nicht jeder, der
hinter einer großen Fahne steht, ist ein Ultra.
Anhang anzeigen 3116
Fans des 1.FC Kaiserslautern brennen bengalische Feuer ab ................... FOTO
PA
Warum ist es so schwer, Missetäter in überwachten Fankurven zu erkennen?
Von welchen Problemen reden wir? Einige pyrotechnische Aktionen sind außer Rand und
Band geraten, da waren die Leute aber vermummt. Entsprechend schwer ist es, sie zu
identifizieren.
Ultra zu sein, das ist ein Lebensstil, auch unter der Woche. Wie zeigt sich das ?
Wenn man die Choreografien anschaut, da gehen einige Abende dabei drauf. Man trifft
sich in eigenen Räumen, im Fanprojekt oder in der Kneipe. Die Ultras verbringen ihre
Freizeit miteinander und bereiten das nächste Spiel vor.
Eine extrem hohe Professionalisierung kennzeichnet den Fußball, die Distanz zum
Publikum wächst. Professionalisiert sich deshalb auch der Fan?
Das könnte man so sagen.
Begeistert Sie das als Fanarbeiter?
Ultras haben viel Positives gebracht. Auch beim Thema Rassismus. Die meisten Ultras sind
nicht für jede dumme Parole zu haben. In der Regel sind das Leute, die gut für sich selbst
sprechen können und gewitzt sind, wie man an manchen Kurvenflyern sieht. Natürlich zeigt
manche Gruppe eine überzogene Gewaltbereitschaft. Aber im Prinzip ist die Bewegung
positiv und von innen reformierbar, etwa durch die Arbeit der Fanbetreuer.
Wie hoch ist das Gewaltpotenzial?
In der Mehrzahl haben wir es mit jungen Männern zu tun. Da gibt es ein hohes Macho -
potenzial, eine Freude auch an der Provokation. Aber man darf nicht alles den Ultras
unterjubeln. In Zügen sorgen oft die ganz normalen Fans, die zu viel getrunken haben, für
schlechte Stimmung und machen andere Fahrgäste an.
Aber das Gewaltpotenzial ist da?
Ja. Aber das gibt es nicht nur im Umfeld des Fußballs. Das gibt es auf jedem Volksfest.
Verharmlosen Sie nicht? Es werden Fanbusse angegriffen, Spieler bedroht.
Ich will nichts verharmlosen. Solche Taten sind nicht hinnehmbar. Aber wenn Ultras sich
mit Ultras raufen wollen, ist das für mich etwas anderes. Und Sprüche wie "Wenn ihr
absteigt, schlagen wir euch tot" kommen auch von der Haupttribüne.
Welche Rolle spielen die Vereine? Sie profitieren von den Ultras. Zugleich aber ist da die
ständige Angst vor Gewaltausbrüchen. Sind die Vereine hilflos?
Es kommt auf den Verein an. Es gibt Clubs mit viel Gespür für die richtige Ansprache. Aber
es gibt auch Vereine,die am liebsten alles unter den Teppich kehren. Vielleicht ist auch
Überforderung im Spiel. Da kann ich nur sagen: Holt euch Expertisen von Fanprojekten und
Fanbeauftragten! Nicht umsonst hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) vorgeschrieben, dass
jeder Club in der ersten und zweiten Liga einen hauptamtlichen Fanbeauftragten haben muss.
Zuletzt scheint sich die Szene radikalisiert zu haben. Welche Rolle spielt die Tatsache, dass
der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die DFL Gespräche mit der Szene unter dem Motto
"Pyrotechnik legalisieren - Emotionen respektieren" unvermittelt abgebrochen haben?
Es hat die Bereitschaft, Pyrotechnik zu verwenden nur verstärkt. Man muss unterscheiden.
Natürlich ist Pyrotechnik im Stadion verboten. Aber die Missachtung des Verbots ist nicht
gleichzusetzen mit Angriffen auf Fanbusse. Die meisten Gruppen verzichten auf Böller und
Leuchtspurgeschosse. Sie halten Bengalos hoch und legen sie nach dem abbrennen zu Boden.
Viele in der Kurve appelieren an die Feuerwerker, man könne auch ohne Feuerwerk anfeuern.
Diese Diskussion muss in den Szenen geführt werden. Übrigens ging es bei den Gesprächen
lediglich darum, unter den herrschenden gesetzlichen Bestimmungen kleine Freiräume
auszuloten. Ein guter Ansatz.
Beim Runden Tisch wird mit Strafverschärfungen gedroht werden und längeren Stadionverboten,
unter Umständen lebenslang. Beeindruckt das die Szene?
Die Szene hält das für völlig überzogen. Wenn einer in 17 Spielen einmal ein Bengalo hochhält -
muss man ihn dafür mit lebenslangem Stadionverbot belegen? Es ist richtig, wenn die Politik
sagt, dass es im Stadion keinen rechtsfreien Raum geben darf. Aber der Fan, der einer Straftat
verdächtigt wird, hat auch Rechte!
Aus solchen Forderungen spricht die Ohnmacht der Politik. Sie muss zusehen, wenn Bengalos in
den Fünfmeterraum fliegen. Und muss erklären,warum Stadien mit viel Steuergeld sicher gemacht
werden müssen.
Ganz klar, Pyrotechnik hat auf dem Spielfeld nichts zu suchen. Aber das sind einzelne Taten. Auch
beim Thema "Gewalt im Stadion" sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Laut der Zentralen
Informationsstelle Sporteinsätze haben wir in der vergangenen Saison etwas mehr als 800 verletzte
Personen bei 17,4 Millionen Zuschauern gezählt. Natürlich ist das nicht akzeptabel. Aber die Zahlen
zeigen, dass es sich um ein relativ überschaubares Problem handelt.
Quelle: Sonntag Aktuell (Mannheim), 13 November 2011
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Anhang anzeigen 3117 Volker Goll
1961 geboren. Ausbildung zum Mediengestalter. Hat im Fußball
schon alles gemacht: unterklassig gespielt, Kinder trainiert, ein
Fanmagazin herausgegeben. Seit 1998 in der Fanarbeit ist er
heute Vizechef der Koorinierungsstelle Fanprojekte in Frankfurt.