Onkel_Helmut
Well-Known Member
@ Jonny (edit: Sorry, ist die Hitze) und Onkel
Die These dass es nur über das amerikanische Volk geht ist ja ganz nett, für uns aber irrelevant.
Natürlich gibt es jetzt eine offene Debatte in den USA und auch beim Volk scheint die Meinung über das NSA Programm zu kippen.
Ich gehe deshalb davon aus, dass man innerhalb der USA dieses Programm transparenter gestalten wird (FISA Court Entscheidungen dem Kongress zugänglich machen) oder teilweise sogar einstellt.
Leider betrifft uns die Diskussion in den USA überhaupt nicht, da es hierbei nur um Verstöße INNERHALB der USA und gegen das EIGENE Volk geht.
Es interessiert die amerikanische Regierung sowie das amerikanische Volk nen feuchten Dreck was außerhalb der US Grenzen getrieben wird, die meisten befürworten die Spionage gegen uns und halten sie sogar für absolut notwendig.
Das stimmt (für uns alle gottseidank) so nicht ganz, was du sagst
Wie schon erwähnt, unterscheidet sich das Politische System der USA sehr von unserem. Die USA sind gekennzeichnet von einer in der Verfassung verankerten gleichzeitigen Gewaltenverschränkung und Gewaltenkontrolle auf nahezu allen Ebenen. In keinem Bereich ist es dadurch in den USA möglich, von oben nach unten "durchzuregieren" oder von unten nach oben Politische Programme durchzubringen.
Außenpolitisch als "der mächtigste Mann der Welt" bezeichnet, sind dem Präsidenten innenpolitisch zwar nicht komplett die Hände gebunden, aber es herrscht ein sehr komplexes Wechselspiel zwischen:
- dem Kongress (Senat und Repräsentantenhaus),
- Dem Präsidenten unmittelbar unterstellten persönlichen Stab (White House Office),
- den Ministern und Ministerien (die in den USA keine mit unseren Ministerien vergleichbare Stellung einnehmen),
- den Bundesbehörden (von denen es hunderte gibt, deren Zuständigkeiten sich teilweise überschneiden)
- und den Einzelstaaten, die über viel größere Autonomierechte verfügen als unsere Bundesländer
Daher existiert z.B. in den USA auch keine rechtliche Normenhierarchie, wie das bei uns der Fall ist. In den USA gibt es z.B. kein Landesweites Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrecht, sondern alle Einzelstaaten regeln dieses in eigener Zuständigkeit. Nur bestimmte Rechtsbereiche überschneiden sich und sind zwischen Einzelstaaten- und Bundesebene "geteilt" bzw. die Zuständigkeit wechselt dann. Deswegen gibt es in den USA (auch wenn sie sich sehr ähneln) 50 verschiedene Rechtssysteme, 50 verschiedene Gerichtssysteme und die Gerichte auf Bundesebene. Diese sind aber nur in bestimmten Fällen zuständig, d.h. das alles existiert prinzipiell NEBENeinander und nicht über- oder untergeordnet.
Der Grund für dieses augenscheinliche Durcheinander ist die US-Verfassung, die bewusst so angelegt ist (keine Machtanhäufung, siehe oben). Im vorliegenden Zusammenhang mit dem NSA-Skandal ist es wichtig, folgende Zusammenhänge zu kennen:
1. Der Präsident ist pro forma oberster Chef der Bundesverwaltung, also auch der Bundesbehörden, wie die NSA eine ist. Jedoch wechselt jeder Präsident bei seinem Amtsantritt nur das oberste Leitungspersonal aus, der Rest der Behörden und Ministerien existiert seit Jahrzehnten bzw. seit Anbeginn. Dadurch haben all diese Behörden ein gewisses "Eigenleben" und Statusbewusstsein entwickelt (informelle Abläufe, Gepflogenheiten, unbemerkter Machtausbau usw.). Gegen all dies muss jeder Präsident "anregieren". Das wiederum ist schwierig, da Wähler- und Lobby-Interessen von ihm berücksichtigt werden müssen. Somit sieht sich jeder Präsident einem Wust an hunderten Behörden und auch noch den Ministerien gegenüber. Selbst der Austausch des nötigsten Leitungspersonals umfasst nach der Wahl jedes Mal mehrere tausend Personen - nur damit die Dimensionen klar werden. Das heißt: Aufgrund der beschriebenen Eigenheiten des Systems ist es sehr schwer - auch für den Präsident, einmal gemachte Zugeständnisse oder Machtentfaltungen (wie sie die NSA z.B. unter Bush bekam), wieder zurückzunehmen.
2. Der Kongress ist aus mehreren Gründen ein vergleichsweise starkes Parlament:
- Präsident und Regierungsmitglieder dürfen qua Verfassung nicht Mitglieder des Kongresses sein (anders als bei uns). Ebenso hat der Präsident kein formelles Gesetzesinitiativrecht und kann so Gesetzentwürfe nur über ihm nahestehende Abgeordnete oder Senatoren lancieren. Er besitzt zwar ein Vetorecht, das jedoch auch wieder überstimmt werden kann (mit 2/3 Mehrheit in beiden Kammern). Zudem ist das Gesetzgebungsverfahren im amerikanischen Kongress mit aberdutzenden Ausschüssen und Unterausschüssen SEHR kompliziert und langwierig. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Gesetze, die der Kongress nicht wirklich will, kommen auch nicht zustande.
- Das Budgetrecht (wie erwähnt) liegt GANZ ALLEIN beim Kongress (auch anders als bei uns). Der Präsident legt nur einen Vorschlag für einen Haushaltsplan vor, der dann abgesegnet werden MUSS, sonst kommt es zu Situationen wie der momentanen --> "Fiscal Cliff", indem quasi mit einem rückwirkenden Nothaushalt regiert wird und öffentliche Ausgaben gnadenlos zusammengestrichen werden
- Keine Parteigebundenheit und Fraktionsdisziplin wie in Deutschland. Parteien spielen in den USA quasi nur als "Nominierungsplattformen" für ihre Kandidaten eine Rolle. Senatoren und Abgeordnete sind in erster Linie ihren Wählerinteressen verpflichtet und müssen sich auch nicht an eine Parteilinie halten. Daher kommt es in den USA häufiger als bei uns zu scheinbar paradoxem, parteiübergreifendem Abstimmungsverhalten im Kongress. Ein solches hätte letzte Woche fast zur Mehrheit für ein Gesetz gegen die NSA-Finanzierung geführt.
Was das Ganze jetzt mit der NSA, dem Skandal und der US-Außenpolitik zu tun hat? Ganz einfach:
a) Unzufriedene Wähler in Wahlkreisen und Einzelstaaten könnten ihre Stimme nicht mehr einem Kandidaten geben, der sich für die NSA-Aktivitäten stark macht, wenn im Volk die Stimmung kippt. Und das passiert gerade schon ansatzweise.
c) Das alleinige Budgetrecht ist die stärkste Waffe des Kongresses. Wenn beschlossen wird, das Gelder gestrichen werden, dann werden sie gestrichen. Egal ob das im Gesundheitswesen oder bei der NSA ist. Geheimdienste mit geringeren finanziellen Mitteln können weniger effektiv arbeiten. Dadurch müssen Bereiche ausgedünnt und Personal, Equipment sowie Aktivitäten reduziert werden. Und genau das hat dann Auswirkungen positiver Art für uns.
Innen- und Außenpolitik kann man speziell in den USA durch diese ganzen Verflechtungen nie eindeutig voneinander trennen. Das sind quasi zwei zusammenhängende Bereiche.
Diese Systemeigenheiten, zusammen mit den schon oben beschriebenen Charaktereigenschaften der US-Bürger lassen ein wenig realistische Hoffnung, dass das Pendel mittelfristig wieder in die andere Richtung ausschlagen könnte. Garantieren kann man das aber natürlich nicht. Ist nur meine Vermutung.
So, das war jetzt doch sehr lang. Sorry für den riesigen Text!