Schmu in Mittelerde
In Neuseeland haben die Dreharbeiten zum Film „Der Hobbit” begonnen. Nur eine Notiz, wären mit dem Nachfolger der „Herr der Ringe”-Trilogie nicht die Hoffnungen eines ganzen Landes auf einen wirtschaftlichen Schub verbunden. Doch Pleiten, Pech, Pannen und politische Querelen haben die Freude getrübt - und einen Nationalhelden entzaubert. Von Sissi Stein-Abel
Die Gitterzäune in der Stone Street in Miramar, einem Vorort der neuseeländischen Hauptstadt Wellington, erinnern an einen Hochsicherheitstrakt. Was dahinter ist, wird streng bewacht: die Dreharbeiten zu dem Film „Der Hobbit”, die vergangene Woche mit rund zweijähriger Verspätung begonnen haben. Das allein grenzt an ein Wunder. Entnervt vom Hickhack um die ungesicherte Finanzierung hatte der als Regisseur vorgesehene Mexikaner Guillermo del Toro das Weite gesucht. Dann gab es Streit mit der Schauspieler-Gewerkschaft, schließlich verwüstete ein Brand ein Studio für Spezialeffekte.
Nun wird also gedreht, und die Aufnahmen sind so geheim wie die Schauplätze in allen Ecken des Landes. Und noch geheimer als alle Geheimabsprachen, die Studio-Bosse aus Hollywood mit Produzenten, Regisseur, Gewerkschaft und gar der Regierung getroffen haben. Die dubiosen Deals, die nun ans Licht kamen, führen den Neuseeländern vor Augen, wie sie bei der Vorbereitung ihres Lieblingsprojektes schmählich hinters Licht geführt wurden. Um die Produktionskosten zu senken und die Rendite in die Höhe zu treiben.
Als hätten nicht schon die Beinahe-Pleiten zuvor, die Arbeitskämpfe und Unglücksfälle den Eindruck erweckt, das 358 Millionen Euro teure Vorhaben stehe unter keinem guten Stern, mussten die Inselbewohner erkennen, dass sie belogen worden waren. Ausgerechnet von der nationalen Ikone Sir Peter Jackson, dem zum Ritter geschlagenen Oscar-Preisträger.
Der hatte nach Übernahme des verwaisten Regiesessels damit gedroht, den „Hobbit” in einem anderen Land abzudrehen. Dort, wo Subventionen und staatliche Zugeständnisse mit dem Füllhorn über Produktionsgesellschaften ausgeschüttet würden. Dort, wo keine Gewerkschaft für eine gerechte Bezahlung der Schauspieler kämpfen und mit Streik drohen würde. So glaubhaft dramatisch schilderte Jackson die Lage, dass ganz Neuseeland zitterte. Den Film, der dramaturgisch vor „Herr der Ringe” angesiedelt ist, an Schauplätzen außerhalb Neuseelands spielen lassen? Die Kiwi-Nation war in Aufruhr. Nach dem Welterfolg der mit 17 Oscars ausgezeichneten Trilogie wäre es für jeden ordentlichen Staatsbürger ein Unding gewesen, andere Weltgegenden als „Mittelerde” zu verkaufen.
Neuseeland mit seiner Naturkulisse identifiziert sich mit dem Kontinent, den einst J.R.R. Tolkien als Hintergrund für seine phantastischen Szenerien und als Heimat der Hobbits schuf. Vermarktungsmaschinerie und Werbe-Effekt sind gewaltig, viele Tourismus-Unternehmen existieren nur dank der Anziehungskraft der Filme - und ihres heimlichen Stars, der Natur. Allein die Wohnhöhlen der Hobbits in Matamata, einem kleinen Ort auf der Nordinsel, der vorher von Pferdezucht und Milchwirtschaft lebte, besuchen jährlich bis zu 25.000 Menschen, 85 Prozent davon ausländische Touristen.
Ob die nun alle nur wegen der Film-Eindrücke anreisen, ist kaum zu entschlüsseln. Premierminister John Key jedenfalls rechnet damit, dass der „Hobbit” seinem Land zusätzliche Arbeitsplätze und Touristen beschert, die mindestens eine halbe Milliarde Euro in die Wirtschaft der Nation pumpen dürften. Eine Zahl, die selbst innerhalb der Regierung bezweifelt wird. So sehr, dass das Finanzministerium schon im Februar vergangenen Jahres anregte, die Subventionen für die Film-Industrie einzustellen. Unterm Strich springe nichts für die Staatskasse heraus.
Dann aber kam Peter Jackson. Das Interesse an Neuseeland, so schwadronierte er, würde sinken, Schauspieler würden arbeitslos und die Filmindustrie des Landes könne gleich dichtmachen, wenn sich erst herumspräche, mit welchen Widrigkeiten willige Investoren in seinem geliebten Heimatland zu kämpfen hätten. Daraufhin gingen in den Städten Tausende Menschen - und beileibe nicht nur kleinwüchsige, die sich um die Rollen der 13 Zwerge im „Hobbit” rissen - auf die Straße, um für den Verbleib der Produktion zu protestieren. Kein Tag verging, an dem die Medien nicht groß über die Auseinandersetzungen berichtet hätten.
Selbst Premierminister John Key wurde von Jacksons Schwarzmalerei aufgeschreckt. Nach Verhandlungen mit dem US-Studio Warner Bros. erhöhte er die staatlichen Zuschüsse und Steuerermäßigungen auf rund 52 Millionen Euro und änderte das Arbeitsrecht für Schauspieler derart, dass sie als selbstständige Unternehmer jedes noch so miese Angebot annehmen können, ohne dass Staat oder Gewerkschaft einschreiten. Prompt blieb der „Hobbit” dort, wo er nach Meinung der meisten Einheimischen auch hingehört.
Nach diesem Happy-End kam jedoch heraus, dass Jackson im Prinzip nie vorhatte, sein Projekt zu verpflanzen - und dass die Regierung davon schon vor ihrem großzügigen Entgegenkommen wusste. Das stieß so manchem übel auf, wenn auch derzeit der Nationalstolz der Kiwis und die Bewältigung des Erdbebens von Christchurch die Debatte um den „Hobbit”-Schmu überdecken.
Der Wirbel hat Regisseur Jackson allerdings so sehr zugesetzt, dass er - was den Dreh weiter verzögerte - im Februar mit einem Magendurchbruch ins Krankenhaus musste. Nach all dem Zirkus kein Wunder.
Quelle:
Verlag: DIE RHEINPFALZ
Publikation: Pfälzer Tageblatt - Ausgabe Weinstraße
Ausgabe: Nr.14
Datum: Sonntag, den 03. April 2011
Seite: Nr.8