vor 4 Stunden schrieb Jonny:
@Ballschnellweiterspieler: Kannst du noch erklären, warum eine "EU als Nation" zum dritten Weltkrieg führen könnte? Was hat das mit Großmachtsfantasien zu tun? Sind keine rhetorischen Fragen, ich verstehe die Argumentation dahinter einfach nicht.
Größere Staaten haben tendenziell ein stärkeres Interesse, weltpolitisch zu agieren.
Wir haben in der BRD klare Regeln für den Einsatz der Bundeswehr, die gut und richtig sind und ihren Einsatz ausschließlich für den Verteidigungsfall definiert. In einem EU-Staat wären diese Regeln hinfällig und wir hätten somit einen Staat, der eine Angriffsarme wie die Russische Föderation oder die Vereinigten Staaten unterhalten würde.
In Europa gibt es aktuell keinen einzigen Staat, der weltpolitisch und militärisch offensiv agieren kann und das ist gut und richtig so und einer der wichtigsten Garanten für den bestehenden Frieden seit dem 2. Weltkrieg. Das UK und Frankreich haben ihre Kolonien verloren und obwohl sie als Siegermächte weiterhin einen ständigen Sitz im Welsicherheitsrat haben, sind sie militärisch nicht in der Lage, militärisch dominant in regionaler wie in globaler Hinsicht zu agieren. Von Deutschland brauchen wir in der Hinsicht ja gar nicht mehr zu reden, zum Glück.
Diese ganze Konstellation wäre allerdings bei einer europäischen Vereinigung hinfällig, da man nun eine Weltmacht hätte, die über Atomwaffen verfügt, ein Reich von Gibralter bis nach Finnland, vom Atlantik bis ans schwarze Meer. Natürlich würde ein solcher Staat ganz anders auftreten als jeder einzelne der bisherigen Mitgliedsstaaten der EU uend natürlich würde dieser in Politik und Wirtschaft Ambitionen wecken, die in krassem Gegensatz zu den bisherigen Hegemonialstaaten stehen würde (USA, Russland insbesondere).
Er wäre größerer Hegemon in Europa, als es das Deutsche Reich je gewesen ist. Meines Erachtens nach wäre die Situation mit der damaligen vergleichbar: Massives Aufrüsten im Europäischen Staat (vergleichbar mit dem Deutschen Reich), um militärisch mit den neuen Konkurrenten mithalten zu können (man spielt nun in einer anderen Liga) + massives Aufrüsten der Konkurrenten VR China, RF und USA (analog zu Frankreich und GB in der Zeit seit der Reichsgründung) um die eigene Vormachtstellung zu halten.
vor 4 Stunden schrieb Jonny:
Und deine Einschätzung, dass ein Brexit als Votum gg. das "Finanzgroßkapital" anzusehen, bezweifel ich auch. GB hat immer versucht, seinen Finanzplatz und seine Steueroase (London City) gg. die EU zu verteidigen. Das wird dem "Finanzgroßkapital" jetzt viel einfacher gelingen.
In dem Punkt hat es wohl ein Missverständnis gegeben, ich habe nicht geschrieben, dass ein Brexit ein Votum gegen das Finanzgroßkapital gewesen sei (was ich auch nicht denke), sondern dass das Votum für den Brexit trotz massiven Druck aus dem Finanzgroßkapital (Horrorszenarien über wirtschaftliche Einbußen der Briten bei Exit, was ich nicht so sehe, Drohung der Abwanderung von Kapital etc.) erfolgt ist. Dieses wollte natürlich den eigenen Standort in London und in der EU erhalten.
Da ich den Tenor der deutschen Berichterstattung über die Thematik unerträglich finde (insbesondere im Nachrichten-Sender von Bertelsmann, welcher für mich noch vor Springer der am schlimmsten ideologisch/neoliberalistisch geprägte Medienkonzern ist), habe ich die Berichterstattung übrigens bei der BBC verfolgt und möchte an dieser Stelle mal ein großes Lob an deren gute journalistische Arbeit aussprechen. Brexit-Befürworter und - Gegener waren zu gleichen Teilen vertreten, es wurde sachlich diskutiert (ganz krasser Gegensatz auch zu den Vier-gegen-Einen-Talkshows in unserem Staatsfernsehen) und man konnte die unterschiedlichen Argumente beider Seiten hören und auch nachvollziehen.
Finde ich hervorragend, ohne die schreckliche Bevormundung mit "Erklärbär-Kommentaten" wie man sie in den deutschen Medien zuhauf findet, sehr sachlich und bei Interviews scharf nachgeharkt, sowohl bei Brexiters als auch bei Pro-EUlern. Besonders, wie kritisch auch Corbyn ausgefragt wurde, hat mir sehr gefallen, das wäre hierzulande vielleicht auch mal bei einem Sigmar Gabriel oder einem Heiko Maas mehr als nötig, dass da entsprechend mal die Samthandschuhe ausgezogen wurden (natürlich sollte man das sachlich tun und dabei nicht so patzig werden wie die Slomka).
Sehr interessant auch, wie die deutsche Rolle gesehen wird, ich würde hier zustimmen und auch Angela Merkels Migrationspolitik eine Mitschuld an dem Wahlergebnis geben wird. Ihre Wortwahl, aus der weitere Migrationswellen folgen mussten, wird als absolute Respektlosigkeit gegenüber den europäischen Partnern empfunden - ich vermute, nicht nur im UK (das ist jetzt allerdings nur meine Vermutung, wobei das ja bei Ungarn, der Slowakei und Österreich definitiv auch so ist). Es wurde in dem Zusammenhang von einer von Deutschland dominierten EU gesprochen und erneut die "Deutsche Frage" aufgeworfen (kein Witz!, wenn ich das nicht falsch verstanden haben sollte).
Der Artikel hier auf welt.de trifft es insgesamt für mich ziemlich gut:
Zitat
Politik
Brexit
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17:49
Plötzlich ist die EU nur noch die Hälfte wert
Das Brexit-Votum ist die letzte Warnung. Mit Hochmut und Floskeln ist Europa nicht zu retten. Brüssel muss endlich erkennen: Die Menschen wollen nicht "mehr Europa", sondern eine andere EU.
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Von Sascha Lehnartz
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Quelle und weiter:
http://www.welt.de/politik/ausland/article156536868/Ploetzlich-ist-die-EU-nur-noch-die-Haelfte-wert.html
Die SPD hat es noch nicht verstanden: Manchmal ist weniger eben doch mehr. Besonders den letzten Teil des Artikels teile ich uneingeschränkt, das habe ich auch bei den Pro-EUlern (ich schreibe ganz bewusst nicht Pro-Europäern, ist für mich nicht deckungsgleich) auf der BBC nicht verstanden gehabt und man hört es hierzulande ja auch oft: Nein, man muss den Leuten die aktuelle Politik nicht besser erklären/verkaufen, sondern stattdessen eine andere Politik machen. Ein verschimmelter Apfel wird ja auch nicht nur deswegen ein frischer, weil er als solcher beworben wird.