Wo ist die Lüge erklär mal.
Griechenland fordert kein Geld zurück, sondern nutzt die Analogie des Deutschen Schuldenschnittes in den 1950er-Jahren als moralisches Druckmittel. Motto: Warum sollte es keinen Schuldenschnitt bei uns geben, wenn sogar Deutschland bei Null starten durfte, nachdem sie einen Weltkrieg angezettelt, Millionen Menschen ermordet und ganze Landstriche in anderen Staaten platt gemacht haben?!
Mir geht bei diesem Thema auch die Propaganda der deutschen Leitmedien auf den Wecker, die absolut durchschaubar eine Kampagne fahren - seltsamerweise ist der Krisendiskurs in allen(!) anderen Staaten anders. Nur in Deutschland geht es um den ökonomischen Selbstmordansatz des Kaputtsparens, während in allen anderen Ländern prominent über die massiv unausgeglichene Leistungsbilanz durch die absurd geringen Lohnstückkosten in Deutschland Thema sind und kein Szenario denkbar ist, in dem die deutsche Politik nicht massiv daran ansetzt, dies zu korrigieren.
Und die "Griechenland-Rettung" lief bis dato so ab: Es gab 10 Kekse, davon haben sich die größten Kapital-Besitzer (Großkonzerne, vor allem Banken und die reichsten der Reichen) 9 Stück geschnappt, um dann den Deutschen zuzuraunen: "Achtung, die Griechen wollen euren Keks klauen!"
Varoufakis und Tsipras haben sich schon früh gegen die Höhe der Rettungspakete ausgesprochen. Die Beträge waren viel zu hoch, um jemals realistische Chancen auf Rückzahlungen zu beinhalten und die Verwendung ging zu 80-90% (hier schwanken die gängigen Berechnungen) nicht in den öffentlichen Etat, sondern vor allem zugunsten von Banken und ihren Kunden. Und an dieser Stelle möchte mir mal bitte jemand erklären, wo genau da noch der Sinn von Staatsanleihen liegt. Das sind ja nun keine hochkomplexen zusammengeschusterten Produkte wie die viel zitierten "ABS/MBS-CDO's", sondern funktionieren so: Man erhält eine Schuldverschreibung, bei der immer das Risiko eines Totalausfalls besteht, welches einem durch den Zins vergütet wird. Kauft man deutsche Staatsanleihen, ist das Ausfallrisiko eher gering und man erhält weniger Zinsen, kaufte man vor 10 Jahren griechische Anleihen, war das Risiko etwas höher und man erhielt höhere Zinsen. Wenn man nun die Anleihekäufer, die zuvor von den höheren Zinsen profitiert haben, durch die "Rettungsmaßnahmen Griechenlands" vor ihrem Totalverlust bewahrt, dann führt das in meinen Augen das gesamte System der Schuldverschreibungen so etwas von ad absurdum, dass man diesen Blödsinn mit "freien Märkten" auch gleich ganz bleiben lassen kann.
Auch ist Griechenland nur ein Teil des Problems und nicht die Ursache.
Der Euro ist derzeit weit entfernt von einer "Optimal Currency Area", wofür der alte Mundell (Mundell, Robert A. (1961): A Theory of Optimal Currency Areas, in: American
Economic Review 51(4), S. 657-665, American Economic Association, Nashville/TN.) derzeit wieder topaktuell ist - es gibt kein umfassendes Transfersystem, wie den deutschen Länderfinanzausgleich, keine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, erst recht keine annähernd ähnlichen Konjunkturzyklen, teilweise ziemlich unterschiedliche Arten des kapitalistischen Ordnungssystems und die passende Alternativstrategie (totale Freiheit, jeder Erwerbstätige reist ungebunden durch den gesamten Währungsraum, um immer den für ihn optimalen Job zu haben, wodurch Ungleichgewichte ausgeglichen würden) ist eine Utopie.
Ich verstehe auch den ideologischen Hintergrund dieses deutschen Austeritätswahns immer weniger - das ist ja bald schon kein Neoliberalismus mehr, sondern rein destruktiver Anti-Kapitalismus mit dem Ziel größmöglicher verbrannter Erde...
Ich würde gerne mal einen Text eines Ökonomen lesen, der die Austeritätspolitik in diesem krassen Ausmaß auch nur ansatzweise für richtig befindet - dieser Ökonom sollte an einer ordentlichen Hochschule lehren und keinerlei offensichtliche Verbindungen zu irgendwelchen neoliberalen Think-Tanks oder Banken haben. Wer gerne recherchiert, mich würde es echt interessieren.
Selbst der sehr liberale Ökonom Paul de Grauwe sieht die Problematik ungefähr so (Auszug aus einer Arbeit zu diesem Thema von mir):
Nach De Grauwe ist eine Hauptursache der Euro-Problematik, dass der gemeinsame Leitzins die Boom-and-Bust-Zyklen des Kapitalismus nicht nur nicht verhindern kann, sondern diese im Gegenteil noch verschärft, weil der Zinssatz für boomende Staaten zu gering und für Staaten in einer Depression zu hoch ist. Der zweite Hauptgrund ist die Tatsache, dass mit der gemeinsamen Währung die einzelnen Regierungen keine Kontrolle mehr über eine nationale Zentralbank haben und daher keine Garantien für einen steten Geldfluss ausstellen können. Ein Fehlen dieser Möglichkeit bedeutet zwangsläufig Liquiditätsprobleme in Krisenzeiten. Die derzeitigen Rettungsversuche scheitern nach De Grauwes Meinung daran, dass die Anpassungen einzig von den Schuldnerländern vorgenommen werden und nicht durch höhere öffentliche Ausgaben der Gläubiger begleitet werden, wie es
notwendig für eine Angleichung wäre, wodurch es innerhalb des Währungsraumes zu einer Deflation kam (vgl. De Grauwe 2013: 6ff., 19ff). (...)
De Grauwe schlägt zur Lösung eine koordinierte Haushaltspolitik der nationalen Parlamente vor. Bei Eintritt in eine Rezession sollten Gläubigerstaaten aufhören, nach ausgeglichenen Haushalten zu streben und stattdessen den Verschuldungsgrad vom Vorjahr als Ziel nehmen – Deutschland hätte somit 2013 statt eines nahezu ausgeglichenen Haushaltes ein Minus von 3% haben können bei konstanter Verschuldung relativ zum BIP, was zum einen ein willkommener Stimulus für die Eurozone gewesen wäre und andererseits die Defizite des europäischen Südens gegenüber den Norden etwas reduziert hätte (vgl. ebd.: 19ff., 23f.).
De Grauwe, Paul (2013): Design Failures in the Eurozone: Can they be fixed?, in: LEQS Paper No. 57/2013, London. -> über Google auch online lesbar
Auch "der deutsche Ökonom schlechthin", der ebenfalls sehr marktliberale Sinn, spricht sich gegen die Austeritätspolitik aus:
Hans-Werner Sinn sieht die ungelöste Krisenursache hauptsächlich in der relativ schlechteren Wettbewerbsfähigkeit der Ökonomien Südeuropas und Frankreichs, die durch den einheitlichen Leitzins und die fehlende Möglichkeit zur Währungsabwertung manifestiert wurde. Eine bessere Wettbewerbsfähigkeit soll durch Preissenkungen (von Löhnen und Waren) und nicht durch höhere Einkommen erzielt werden. Allerdings liegt hier ein
recht seltener Fall von weitestgehender Einigkeit konkurrierender ökonomischer Theorien vor, indem eine erfolgversprechende reale Abwertung durch Löhne und Preise extrem unwahrscheinlich bis schlicht unmöglich angesehen wird, wenn die notwendigen Reduzierungen (wie in den Fällen von Portugal und Griechenland) in Größenordnungen von 30-40% liegen (vgl. Sinn 2013: 2f., 12f.).
Da die Austeritätspolitik des Eurorettungsregimes die erwartbaren und erwarteten Ergebnisse zeigt und er andere Alternativen für deutlich schlechter befindet, favorisiert Sinn eine Exit-Möglichkeit für Krisenstaaten.
Sinn, Hans-Werner (2013): Austerity, Growth and Inflation: Remarks on the Eurozone's Unresolved Competitiveness Problem, CESifo Working Paper No. 4086, München. -> über Google auch online lesbar
Auf vergleichsweise linke Ökonomen wie Flassbeck brauche ich wohl nicht einzugehen, da diese in diesem Kontext natürlich absolut erwartbare Aussagen treffen.
Ein Hauptgrund der Eurokrise liegt in Deutschland. Während die anderen Staaten ökonomisch "normal" gehandelt haben, in dem sie das durch den Euro günstiger und mehr werdende Kapital fleißig investiert haben, um durch öffentliche Aufträge und Sozialausgaben das einheimische Wirtschaftswachstum anzukurbeln, für höhere Beschäftigungsraten gesorgt und damit wieder die Binnenkonjunktur beflügelt haben, ist Deutschland als Geisterfahrer aufgetreten. Es wurde massiv gespart, Sozialleistungen gesenkt, Löhne reduziert und statt der Binnenkonjunktur wurde alles auf den Export gesetzt, wodurch sich die Unternehmen und ihre Besitzer eine goldene Nase verdienten. Kurzfristig ging das voll zu Lasten der deutschen Bevölkerung und langfristig geht das ebenso zu Lasten aller "Partner" im Währungsraum, die die deutsche Politik ganz offensichtlich als "Gegner" betrachtet hat und immer noch betrachtet.
Ein sehr lesenswerter Aufruf prominenter Ökonomen, der vor allem diesen Satz beinhaltet: "Die griechische Regierung besteht zu Recht auf neuen Konzepten, denn die bisherigen sind gescheitert.", findet sich auf Deutsch hier:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24910http://www.nachdenkseiten.de/?p=24910
und im Original hier:
http://blogs.mediapart.fr/edition/english-club/article/050215/scholars-appeal-greecehttp://blogs.mediapart.fr/edition/english-club/article/050215/scholars-appeal-greece
Weiterhin finde ich einen Artikel zur Regierungserklärung von Syriza am Sonntag sehr aufschlussreich:
http://www.heise.de/tp/artikel/44/44091/1.htmlhttp://www.heise.de/tp/artikel/44/44091/1.html
Ich hoffe sehr, dass Syriza Kurs halten kann, weil sie derzeit meine einzige Hoffnung auf ein Weiterleben des Euro ist, dessen unkoordiniertes Auseinanderbrechen mir sehr große Bauchschmerzen in Form von Re-Militarisierung (sieht man in Deutschland ja eh schon zur Genüge) und Re-Nationalisierung bereiten würde.