Interview
NPD im Schweriner Landtag - Droht ein Flächenbrand im Osten?
Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse
NDR Info: Eines erschreckt die Politiker nach den beiden Landtagswahlen gleichermaßen. In Mecklenburg-Vorpommern hat die rechtsextreme NPD sechs Sitze im Landtag ergattert, gemeinsam mit den 12 NPDlern in Sachsen sitzen diese Rechtsextremen zurzeit also in zwei bundesdeutschen Parlamenten. Abgesehen von den DVU-Kollegen in Brandenburg und Bremen. Der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, warnt deshalb jetzt vor einem Flächenbrand. Am Telefon ist Wolfgang Thierse, er ist SPD-Vorstandsmitglied und Bundestagsvizepräsident. Sehen auch Sie die Gefahr eines Flächenbrandes?
<em>Thierse</em>: Wenn in vier deutschen Parlamenten rechtsextremistische Parteien sitzen, ist das ein beunruhigender Vorgang. Man kann nicht mehr sagen, dass seien irgendwie Randphänomene. Man sieht, dass das eingetreten ist, was ich schon vor vielen Jahren öffentlich gesagt habe, dass der Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeiten, Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sind und kein parteipolitisch isolierbares Randphänomen mehr sind.
NDR Info: Aber die Rechtsextremen besetzen auch Themen, die den Menschen nah sind, am Herzen liegen, sie hetzen nicht nur. Die etablierten Parteien schaffen es offenbar nicht, so nah an die Menschen heranzukommen. Kann man es den NPD-Wählern verdenken, dass die sich so entscheiden?
Thierse: In Deutschland muss und kann man wissen, was man tut, wenn man Nazis wählt. Ich habe etwas dagegen, dass journalistisch und wer weiß wo sonst, die Naziwähler verharmlosend, veredelnd Protestwähler genannt werden. Denn das ist es nicht. Ich finde, es ist schlimmer. Nach meinem Eindruck, nach Kenntnis aller Untersuchungen, es gibt in Deutschland einen Prozentsatz von Menschen, der rechtsextremistisch denkt, der ausländerfeindlich, antisemitisch ist. Das hat nichts mit unmittelbar in einem einfachen Ursachenwirkungszusammenhang, mit den schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu tun. Natürlich weiß ich, dass Menschen die Arbeitslosigkeit erfahren haben und Angst vor Arbeitslosigkeit haben, die Zukunftsängste haben, dass die verunsichert sind und geradezu dramatisches Bedürfnis nach den einfachen Antworten haben. Diese einfachen Antworten können ihnen vernünftige, verantwortliche demokratische Parteien nicht geben, denn die schwierigen Veränderungen, in denen wir in Deutschland, Europa und der Welt stecken, die sind nicht mit einem Donnerschlag, mit einem Wunder, mit einem einfachen Rezept zu überwinden, sondern nur durch schwierige und immer auch schmerzliche Reformen. Darüber muss man ehrlich reden, um Menschen ihre Ängste zu nehmen. Aber man darf nicht darauf reinfallen und die Neonazis an Verssprechungen überbieten wollen.
NDR Info: Um noch einmal zurückzukommen auf das, was Sie eben sagten. Die Menschen müssen wissen, was sie tun und das wären gar nicht alles Protestwähler. Wie hoch schätzen Sie denn den Anteil derer, die tatsächlich aus Protest und aus Ratlosigkeit die Rechtsextremen wählen?
Thierse: Ich widerspreche Ihnen noch einmal. Ich weigere mich, dieses Stimmverhalten zu veredeln, indem ich sage, das ist ein Protest. Alle Untersuchungen, die wir kennen, belegen, dass es in Deutschland einen Prozentsatz von mindestens zehn Prozent gibt, die antisemitisch, ausländerfeindlich, minderheitenfeindlich, autoritär eingestellt sind. Die finden nun eine "politische Heimat" bei den rechtsextremistischen Parteien, die ihnen mit den einfachen Versprechungen und Lösungen kommen. Man muss auch wissen, dass die NPD eine Doppelstrategie fährt, auf der einen Seite gibt sie sich nachbarschaftlich, geradezu bürgernah und zur gleichen Zeit schlagen sie zu, nehmen die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten zu. In Berlin zum Beispiel sind Wahlkämpfer anderer Parteien zusammengeschlagen worden. Das beides gehört zusammen, und das wissen auch Bürger. Dass können sie wissen, sie brauchen nur ein bisschen Nachrichten lesen oder sehen, dann können sie das mitbekommen. Wir dürfen das nicht beschönigen, was da passiert, indem wir es wirklich veredeln, das sei sozialer Protest. Nein, dass ist schlimmer.
Quelle:
http://www.ndrinfo.de/interviews/t_u_v_w_x_y_z/t_cid-3114456_.htmlhttp://www.ndrinfo.de/interviews/t_u_v_w_x_y_z/t_cid-3114456_.html