Horst Eckel, die letzte lebende Legende
Marek Nepomucky
Am 4. Juli 1954 wird Deutschland Weltmeister. Es ist eine Sensation. Von der Geburtsstunde der Bundesrepublik wird später gesprochen. Der Titel reißt eine ganze Nation mit. Die Welt verneigt sich vor einer Mannschaft, die ein wahres Team ist, in der ein besonderer Geist entstand. Der Pfälzer Horst Eckel ist der letzte noch lebende Spieler des Finals in Bern. Er ist mittlerweile 88 Jahre alt – und hält sich mit Übungen im Garten fit.
Die Welt blickt auf Bern. Es ist der 4. Juli 1954. Im Wankdorf-Stadion stehen sich Ungarn und die Bundesrepublik Deutschland im Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft gegenüber. Ein Finale, mit dem niemand gerechnet hatte. Ein Finale, dessen Ausgang jeder im Vorfeld zu wissen glaubt. Die Ungarn sind der klare Favorit. Dass die nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals wieder zugelassene deutsche Mannschaft überhaupt bis ins Finale gekommen ist, gleicht einer kleinen Sensation. Am Ende gewinnt Deutschland vor 62.500 Zuschauern mit 3:2. Es ist keine kleine, es ist vielmehr eine riesengroße Sensation.
Über den ersten Weltmeister-Titel der Bundesrepublik Deutschland werden später viele Bücher geschrieben. Es werden auch Filme über dieses Wunder gedreht. „Das Wunder von Bern“ von Sönke Wortmann ist so ein Film. Einer, der dem Regisseur als fachkundiger Berater zur Seite steht, ist Horst Eckel. Eckel ist der jüngste Spieler im Aufgebot der deutschen Mannschaft in Bern. 22 Jahre ist er. Deshalb nennen ihn alle „Benjamin“. Was kaum einer ahnt, ist, dass Eckel einer der wichtigsten Spieler des Turniers werden wird. Er und der Alsenborner Fritz Walter, unangefochtener Chef und Kapitän der Mannschaft, sind die einzigen Spieler, die alle sechs WM-Partien bestreiten. Eckel und Fritz Walter verbindet eine enge Freundschaft. Es ist eine Art Vater-Sohn-Beziehung. Neben Walter und Eckel kommen noch Werner Liebrich, Werner Kohlmeyer und Ottmar Walter vom 1. FC Kaiserslautern. Kein anderer Klub stellte damals so viele Nationalspieler wie der FCK. Eckel bekommt aufgrund seiner exzellenten Leistungen im Turnier eine Sonderaufgabe im Endspiel. Er soll den ungarischen Weltklasse-Spieler Nándor Hideguti bewachen. Das gelingt ihm hervorragend. Bundestrainer Sepp Herberger hat diesen Schachzug aus dem Ärmel gezaubert. Denn: Eckel ist ein schneller Spieler mit einer enormen Ausdauer. Deshalb nennen die Mitspieler ihn auch „Windhund“.
Abgeschottet von der Öffentlichkeit
66 Jahre später ist Horst Eckel der letzte lebende Weltmeister von 1954. Er lebt mit seiner Frau Hannelore in Vogelbach, einem Ortsteil von Bruchmühlbach-Miesau. Beide sind seit 64 Jahren verheiratet. Das Haus bekamen sie damals von Hannelores Eltern. Beide bilden ein harmonisches Paar. Doch das Alter ist nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen. Horst Eckel ist nun 88 Jahre alt. Die Corona-Krise setzte ihm zu, sagt er. Tochter Dagmar hat ihre Eltern aus Vorsicht vor dem aggressiven Coronavirus für eine Zeit von der Öffentlichkeit abgeschottet. „Das war sehr lange“, seufzt Horst Eckel. Er kann, darf kaum Sport machen. Die mangelnde Bewegung tut ihm nicht gut. Deshalb sucht Dagmar Eckel einen Personal Trainer. Steven Dooley, der Bruder des ehemaligen FCK-Profis Tom Dooley, empfiehlt Jamil Shanab. Der in Ludwigshafen lebende Shanab boxte über zehn Jahre für die deutsche Nationalmannschaft. Er hat Fubotime erfunden – eine Mischung aus Boxsport, Athletik, Koordination und fußballspezifischen Elementen. Shanab macht leistungsorientierte Sportler fit. Unter anderem Box-Weltmeister Vincent Feigenbutz, die Fußball-Profis Tobias Sippel, Christian Kühlwetter oder Antonio Jonjic waren schon bei ihm. Shanab hat in Bad Dürkheim ein Fitness-Studio und zusammen mit Fußball-Profi Danny Blum (VfL Bochum) in Frankenthal eine Fußballschule. Dort werden Talente behutsam an Spitzenniveau herangeführt.
„So etwas ist doch einmalig“
Shanab trimmt nun seit Wochen Horst Eckel. Jeden Donnerstag kommt der 35 Jahre alte Shanab nach Vogelbach, um die letzte lebende Legende der 54-WM-Elf fit zu machen, fit zu halten. Er hat sogar extra dafür neue Geräte gekauft. „Er macht das gut“, sagt Eckel, der sichtlich Spaß an den Sporteinheiten hat. „Ihm tut das Training gut“, bestätigt auch Tochter Dagmar. Denn: „Durch Corona ist meinem Vater alles weggebrochen, die Lotto-Elf und der FCK. Er saß nur im Sessel, doch er braucht Bewegung.“ Ab und zu lief er mit dem Nachbarn um den Block, doch das reichte nicht aus. Eckel saß hauptsächlich im Sessel und bewegte sich zu wenig. Er bekam Wasser ins linke Bein. Doch seit Eckel mit Shanab trainiert, hat sich der Gesundheitszustand sehr verbessert. „Das Wasser ist aus den Beinen“, sagt Dagmar Eckel erleichtert.
Horst Eckel blüht bei den Übungen geradezu auf. Er lacht, flachst mit Shanab. Der Schalk in seinem Wesen kehrt zurück. „Die Übung macht mir keine Probleme“, sagt Eckel immer wieder. Seine drahtige Statur kommt ihm zugute. Eckel ist für seine 88 Jahre in einer guten Verfassung, kann durch das regelmäßige Training wieder Übungen absolvieren, die in diesem Alter nicht selbstverständlich sind. „Herr Eckel macht das wunderbar“, sagt Shanab. Er war zunächst etwas irritiert, als die Anfrage von Dagmar Eckel kam. Shanab dachte erst, es sei ein Scherz. Doch dann merkte er, dass es Dagmar Eckel ernst meinte. „Es ist eine große Ehre für mich, den letzten lebenden Weltmeister von 1954 zu trainieren. So etwas ist doch einmalig“, sagt Shanab beinahe ehrfurchtsvoll und betont, dass er diese Aufgabe ehrenamtlich ausübt.
Horst Eckel absolviert an diesem Donnerstag seine Einheit problemlos. Er sitzt auf einem Stuhl in dem sehr gepflegten Garten und tippt auf blinkende Lichter, lässt den Ball zwischen den Füßen hin und her tanzen. Etwas länger als eine Stunde dauern die Fitnesseinheiten. Horst Eckel signiert an diesem Tag außerdem noch Trikots. Autogrammanfragen erreichen ihn heute noch. „Sie kommen aus der ganzen Welt, doch die meisten stammen aus Deutschland“, sagt Eckel.
Die Fußball-Fans in der ganzen Welt wissen, dass Horst Eckel der letzte lebende Spieler aus dem WM-Finale von 1954 ist. Hans Schäfer, mit dem sich Eckel während des Turniers in der Schweiz das Zimmer teilte, verstarb am 7. November 2017. „Es ist schon ein bisschen komisch, dass ich ganz allein bin. Früher hatte ich noch Fritz und die anderen zum Reden. Jetzt fehlt mir ein Ansprechpartner“, sagt Eckel. Der zwölf Jahre ältere Fritz Walter war „eine Vaterfigur“ für ihn. „Er fehlt mir sehr. Ich als ganz junger Spund durfte mit ihm Fußball spielen. Von Kaiserslautern aus wurde ich Nationalspieler, war Weltmeister, und das alles durfte ich mit Fritz erleben. Das war das Höchste, was man im Fußball überhaupt erleben kann.“ Doch nun ist Eckel der letzte Weltmeister. Traurig meinte er in einem Interview: „Ich fühle mich oft allein.“
WM-Titel wird für manche Spieler zur Last
Dabei lebt Eckel ein erfülltes Leben. Vielen seiner Mitspieler aus der 54er-Elf wurde der Ruhm zur Last. Viele von ihnen starben früh. Ottmar Walter, der Bruder von Kapitän Fritz Walter, war schwer krank, verlor viel Geld, und als private Probleme dazukamen, versuchte er einen Selbstmord. Toni Turek wachte mit 54 auf und war von der Hüfte an gelähmt. Er quälte sich zehn Jahre. Max Morlock starb an Krebs, als er den Ruhestand genießen wollte. Werner Liebrich, Karl Mai und Jupp Posipal wurden nicht mal 70. Am härtesten und schnellsten traf der Fluch des WM-Goldes den Lauterer Werner Kohlmeyer. Der Verteidiger kostete die Siegesfeiern aus, stieß mit jedem an, der mal mit einem Weltmeister anstoßen wollte. In den Alltag fand er nicht, verlor den Halt. Er war 49 und arbeitete als Pförtner am Hintereingang eines Mainzer Zeitungshauses, als er am 26. März 1974 an Herzversagen starb. Ein paar Monate vorher hatte er einen bitteren Satz gesagt: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich nie Fußball gespielt hätte.“
2000 D-Mark und ein Kühlschrank als Prämie
Horst Eckel blieb seiner Lebenslinie treu. Er war bodenständig und diszipliniert. Er sicherte sich mit dem WM-Bonus die Grundlage für bürgerlichen Wohlstand. Eckel wurde später Lehrer. Alle Spieler der WM-Elf mussten trotz des Titels nebenher arbeiten. Nicht annähernd für ein schönes Leben reichte die Prämie von 2000 D-Mark für den WM-Titel. Dazu gab es einen Kühlschrank. Der steht heute noch im Keller, verrät Tochter Dagmar. Und ein Goggomobil. „Bei uns hat Geld damals gar keine Rolle gespielt. Es war nicht wie heute“, sagte einmal Horst Eckel. Dagmar Eckel meint: „Aber sie waren dankbar.“ 300 Mark monatlich verdiente Eckel beim FCK. „Jeder von uns hat noch zusätzlich gearbeitet“, erzählt er. Eckel hatte einen Job bei der Nähmaschinen-Firma Pfaff. „Fußball kam für mich aber immer an erster Stelle“, sagt er.
Bewegender Moment am Thuner See
Der Fußball hat Horst Eckel zu einem weltberühmten Sportler gemacht, der WM-Titel 1954 für die Fußball-Nostalgiker zu einer unsterblichen Ikone. Doch Eckel ist sich der Endlichkeit des Lebens bewusst. Dagmar Eckel erinnert sich an einen emotionalen Moment. „Ich vergesse niemals, als wir 2013 zusammen in Spiez wa-ren. In dem Hotel, in dem die Nationalmannschaft damals war. Papa war der einzige Weltmeister von 1954 dort, Herr Schäfer war damals nicht dabei. Es kamen auch alle Familien der Spieler noch mal in das Hotel. Papa ging zum See und hat sich nochmals von seinem Kameraden verabschiedet. Er hat dort alles Revue passieren lassen. Es war ein ganz emotionaler Moment. Man konnte die Mannschaft fast noch hören“, erzählt Dagmar Eckel mit Tränen in den Augen. Dieser Geist von Spiez war noch vorhanden, fährt sie fort: „Es war sehr berührend und für Papa wichtig, dort Abschied zu nehmen.“
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