Erst der Club, dann die Partei

Pfalzadler

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Ein bislang wenig erforschtes Kapitel Sportgeschichte: die Gleichschaltung des Sports in Kaiserslautern 1933 bis 1939, die ein unvollendetes Projekt blieb. Pläne, den 1. FC Kaiserslautern mit drei anderen Clubs in einen kommunalen Großverein zu zwingen, scheiterten. Möglicherweise auch deshalb, weil selbst NS-Funktionäre an der Vereinsspitze dieses Ziel eher halbherzig verfolgten.

Von Markwart Herzog



Im Frühjahr 2013 jährt sich die „Gleichschaltung“ des öffentlichen Lebens im Deutschen Reich zum 80. Mal. Damals sollten auch die Kultur- und Sportvereine auf den NS-Staat eingeschworen werden. Viele Vereine wurden liquidiert und enteignet, jüdische Mitglieder ausgeschlossen. Die NS-Politik plante zwar eine umfassende Gleichschaltung des Sports, setzte sie jedoch weder konsequent noch bis auf die Ebene der lokalen Vereine durch. Diese Zurückhaltung war außenpolitisch motiviert, um der internationalen Boykottbewegung gegen die Olympischen Spiele 1936 nicht unnötig Nahrung zu geben.



Darüber hinaus benötigte der neue Staat die Kompetenz der bürgerlichen Sportfunktionäre für die Vorbereitung und Organisation der Spiele. Deshalb unterscheidet die Forschung eine „erste Gleichschaltung“ von einer „zweiten Gleichschaltung“, die 1935/36 einsetzte und dann überaus radikale Ziele verfolgte.Viele Details der Gleichschaltungsprozesse und der Entwicklungen in den lokalen Turn- und Sportvereinen sind nach wie vor unbekannt. Eine Konferenz der Schwabenakademie Irsee brachte im Februar 2013 anhand neuer Archivrecherchen mehr Licht in dieses weitgehend unbearbeitete Kapitel deutscher Geschichte. Auch zur Situation in Kaiserslautern wurden dabei neue Erkenntnisse zutage gefördert.



Während der „ersten Gleichschaltung“ wurden die kirchlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Turn- und Sportvereine liquidiert oder mit bürgerlichen Vereinen fusioniert, die sich vor 1933 zu politischer und konfessioneller Neutralität verpflichtet hatten. Zahlreiche bürgerliche Turn- und Sportvereine gingen als Gewinner aus dieser Gleichschaltung hervor.



In Kaiserslautern war es der Männer-Turn- und Sportverein (MTSK), der davon am meisten profitierte. Er war damals das Lieblingskind der Kaiserslauterer Nazi-Presse, schließlich stand ihm der NS-Aktivist Karl Antoni vor. Unter Antoni kassierte der MTSK einen Großteil der Mitglieder der aufgelösten, sozialdemokratischen Freien Turn- und Sportvereinigung, die Sportplatzanlage Buchenloch und obendrein den Spielplatz der katholischen Deutschen Jugendkraft. Überdies schickte Antoni sich an, weitere lokale Vereine in den Sog seiner Fusionspolitik zu ziehen.



Ebenso wie der MTSK jubelten alle anderen bürgerlichen Turn- und Sportvereine Kaiserslauterns 1933 über die „Machtergreifung“ der NSDAP. Bereitwillig bekannten sie sich zum Führerprinzip und zur „nationalen Gleichschaltung“. Der 1. FC Kaiserslautern (FCK) versprach sich von den neuen Machthabern unter anderem eine Lösung seiner gravierenden wirtschaftlichen Probleme.



Der FCK hatte sich 1932/33 mit dem Ausbau des Sportplatzes Betzenberg ebenso finanziell übernommen wie der Turnverein 1861 mit dem Bau seines Turnerheims. Mit Unterstützung der NSDAP erhielt der FCK 1934 einen Kredit der Stadtsparkasse und verschaffte sich damit etwas Luft.



In Kaiserslautern ließ die Lokalpolitik die bürgerlichen Turn- und Sportvereine bis 1935 gewähren. Doch beginnend mit dem Jahr 1935 legten sich verschiedene NS-Politiker mächtig ins Zeug, um die teilweise stark verfeindeten Vereine durch Fusionen zu größeren Einheiten zusammenzuschließen, zu entschulden und sportlich voranzubringen. Nicht zuletzt wollten sie den Sportstandort Kaiserslautern stärken und sich in dessen Glanz sonnen.



Die ersten, im Frühjahr 1935 unternommenen Schritte, den Turnverein 1861 und den MTSK zusammenzuschließen, führten 1938 zur Gründung der Turn- und Sportgemeinde 1861 (TSG). Ein Jahr zuvor hatten die beiden örtlichen Schwimmsportvereine einen Großverein gebildet.



Nach dem Willen der Lokalpolitik sollten es die Fußballer den Turnern und Schwimmern gleichtun. So beabsichtigten 1937/38 NSDAP-Kreisleiter Georg Rieder und Oberbürgermeister Dr. Hans Weisbrod, den 1. FC Kaiserslautern aufzulösen und mit dem Turnverein 1861 zu fusionieren. Gegen diesen Plan wehrte sich der FCK jedoch mit Erfolg. Sodann setzte Weisbrods Nachfolger, Oberbürgermeister Richard Imbt, im Jahr 1938 alles daran, den FCK mit dem VfR, dem FC Olympia und dem Sport-Club in einen kommunalen Großverein zu zwingen.




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Fußball im Krieg: Die Mannschaft des FCK im Jahr 1943, die man nicht mehr mit gutem Gewissen als „Walter-Mannschaft“ bezeichnen kann, denn Fritz Walter spielte in dieser Zeit fast gar nicht mehr für den FCK, sondern als Soldat für die Luftwaffenmannschaft „Rote Jäger“. Auf dem Foto sind einige Kicker zu sehen, bei denen es sich um „Gastspieler“ handelt, die eigentlich zu anderen Vereinen gehörten, als Soldaten jedoch nach Kaiserslautern in die 23er-Kaserne kamen und nur ganz kurz für den Betze gespielt haben: der Gastspieler Franke aus Hamburg ganz rechts und wahrscheinlich auch die beiden Spieler links außen. Die bekannten Namen: Jakob Marker (3. v. l. ), und weiter Heinz Jergens, Ernst Liebrich, Werner Kohlmeyer sowie wahrscheinlich der Torwart Buchheim. Fotos: Archiv Herzog

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(Teil 2)



Obwohl die NS-Lokalpresse den Namen des Fusionsprodukts, „Fußball-Sport-Verein Kaiserslautern“, bereits verkündet hatte, scheiterte Imbts Plan. Dennoch ließ sich der Oberbürgermeister durch diesen Rückschlag nicht beirren. Im Sommer 1939 verkündete er der TSG, dem Gleichschaltungsgewinner von 1933, die Zwangsenteignung der Sportplatzanlage Buchenloch.



Die Stadt Kaiserslautern plante nämlich, eine gigantische Stadionanlage mit Aufmarschfeld für 100.000 Leute zu errichten, um damit ihre neue Stellung als Gauhauptstadt zu krönen. Schließlich war es Kreisleiter Jacob Knissel, der die Katze aus dem Sack ließ und die Ziele dieser Sportpolitik insofern radikalisierte, als er die Liquidierung aller Lauterer Turn- und Sportvereine und ihre Fusion zu einem einzigen kommunalen Großverein auf die Agenda setzte. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden diese Pläne Imbts und Knissels jedoch erst einmal auf Eis gelegt.



Im Hintergrund dieses sich stetig verschärfenden Kurses zur Liquidierung und Fusionierung der Lauterer Turn- und Sportvereine standen Pläne der Reichsorganisationsleitung der NSDAP. Ihr Ziel war es, die regionale und lokale Struktur des Sports nach dem Vorbild der Partei umzugestalten, die Sportvereine zu liquidieren und durch „Ortssport“- beziehungsweise. „Dorfsportgemeinschaften“ zu ersetzen. Gleichwohl wurde dieses Projekt auf Hitlers Wunsch zurückgestellt.




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Die Liebe, mit der deutsche Männer an ihren Fußballclubs hängen, wurde offensichtlich als so groß eingeschätzt, dass man zu Kriegszeiten befürchtete, ihre Beseitigung würde die Moral der Truppe untergraben. Stattdessen motivierte die Reichssportführung die Turn- und Sportvereine, „Kameradenbriefe“ an die an der Front kämpfenden Vereinsmitglieder zu senden. Auch der FCK schickte solche, auf Wachsmatrize vervielfältigte Briefe an die Feldpostadressen seiner Sportkameraden.



Doch nach dem „Endsieg“ sollten die Fußballclubs nichts Gutes zu erwarten haben. Die Lauterer NS-Presse hatte sie schon vor Kriegsbeginn als „Clübchen“ diffamiert, die von „Vereinsmeiern“, „Stänkerern“ und „Fanatikern“ geführt würden und Hindernisse auf dem Marsch zum Endziel der NS-„Volksgemeinschaft“ wären.



Die in Kaiserslautern durchgeführten Fusionen der Turner und Schwimmer waren also lediglich Etappensiege auf dem Weg zu einer radikalen Zentralisierung und tiefgreifenden Politisierung des kommunalen Sports, dessen „zweite Gleichschaltung“ damit vollendet gewesen wäre. Am Fußball bissen sich die Nazis in Kaiserslautern jedoch die Zähne aus und scheiterten am Widerstand der Vereine.



Sehr interessant ist in diesem Kontext auch die Frage, wie die Fußballclubs mit ihren jüdischen Mitgliedern umgingen. Der Reichsbahn-Turn- und Sport-Verein schloss sie schon 1933, unmittelbar nach der „Machtergreifung“, aus. Dagegen gewährte der FCK jüdischen Kameraden noch einige Jahre lang eine Heimat. So war der jüdische Arzt Dr. Albert Maas bis zu seiner Emigration im Jahr 1936 Sportarzt auf dem Betzenberg.



Und FCK-„Vereinsführer“ Dr. Ludwig Müller wurde 1936 wegen seiner Kontakte zu jüdischen Vereinsmitgliedern vor Gericht gestellt, obwohl sich der FCK unter seiner Leitung im Jahr 1933 in einer öffentlichen Erklärung zu deren Ausschluss bekannt hatte. Wie das Beispiel des FCK zeigt, wissen wir über die konkrete Ausgestaltung dieses Kapitels des Antisemitismus auf lokaler Ebene immer noch viel zu wenig.



Seit dem Jahr 1938 wurde der FCK von NS-Lokalpolitikern regiert, von Carl Allbrecht und Hans Philipp. Da sie Anhänger des FCK waren, ist ihre Rolle schwer zu bewerten. Als Fusionsaktivisten sind sie jedenfalls nicht hervorgetreten. Die wenigen Details, die von ihrer Vereinsführerschaft bekannt sind, lassen die Vermutung zu, dass sie mehr die Interessen des Fußballclubs als die der Partei verfolgten.



Aber damit wäre der FCK kein Einzelfall gewesen. Denn auch andere Fußballclubs, beispielsweise in Wien, akzeptierten NS-Politiker als „Vereinsführer“ und schätzen sie als „Schirmherren“. Und so könnten es letztlich Allbrecht und Philipp gewesen sein, unter deren schützender Kontrolle der FCK die „zweite Gleichschaltung“ zu überleben vermochte.



Der Autor Markwart Herzog, Jahrgang 1958, ist Direktor der Schwabenakademie Irsee. Unter den zahlreichen Veröffentlichungen des FCK-Fans und promovierten Religionsphilosophen zu Themen der Religions-, Medizin-, Sport- und Strafrechtsgeschichte: „Der ,Betze’ unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus“, Verlag Die Werkstatt, Göttingen; 2006.



DIE RHEINPFALZ

Pfälzische Volkszeitung
 
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