Die Ein-Prozent-Gesellschaft

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Die Ein-Prozent-Gesellschaft



Von Frank Hornig

Mit dem Helikopter in die Hamptons: Der Boom der US-Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren eine Kaste von Superreichen hervorgebracht - und die zeigt gern, was sie hat. Das schürt die sozialen Spannungen, denn die Einkommen der breiten Masse sinken seit langem.





Wenn Shail Upadhya das Poloturnier in den Hamptons besucht, nimmt er eine jahrtausendealte Weisheit mit. "Wenn du in Rom bist, tu es den Römern gleich", sagt er.



Deshalb redet er hier, wo Amerikas Superreiche Urlaub machen, nicht von seiner Heimat, Nepal, und seinen Freunden in der maoistischen Rebellenbewegung; auch nicht von seinem Onkel, dem neuen Premierminister, der in Katmandu mit Marxisten und Leninisten regiert.





Polo auf Long Island: Milliardäre im Wunderland











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"Vorträge über den Klassenkampf bringen hier nichts", sagt er. Stattdessen legt Upadhya seine schönsten Gewänder an, so wie früher, als er Polo noch in der Gesellschaft indischer Maharadschas erlebte, als statt Pferden Elefanten über das Spielfeld jagten und der Sport ein glanzvolles Großereignis war.



Die neuen Maharadschas in Bridgehampton haben mit dieser Welt, von ihrem sagenhaften Reichtum abgesehen, wenig gemein: Es sind Hedgefonds-Manager aus New York, Wall-Street-Stars mit Jahreseinkommen im dreistelligen Millionenbereich. Junge Finanzgenies in Flipflops, statt Pferden die Blondinen im VIP-Zelt im Blick, und beim Small Talk bereits bestens im Jargon des Jetset versiert: Soll man lieber gleich vom Büro aus mit dem Heli in die Hamptons fliegen (Flugzeit: 45 Minuten) oder vom Regionalflughafen mit dem eigenen Jet (17 Minuten)? Und wer hat die Strandvilla für 26 Millionen ergattert?



Superreiche: Mit dem Heli in die Hamptons











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In ihrer Mitte bewegt sich Upadhya, ein Modedesigner von vielleicht 60 Jahren, mit der unerschütterlichen Würde und Exzentrik eines alten Gesellschaftslöwen; den Champagner trinkt er, wie es nun Sitte ist, nicht aus dem Glas, Piper-Heidsieck wird im Bierflaschenformat mit Strohhalm gereicht und fließt in Strömen, oft ungewollt und über den Flaschenrand aufs Handgelenk. "Ich habe den Maoisten geraten, ihre Waffen zu behalten", raunt er dem Reporter am Spielfeldrand zu, "es sind die Waffen des Volkes."









Ein Rebellenfreund unter Turbokapitalisten, Klassenkampfparolen beim Millionärsvergnügen: Für Salonsozialisten haben glänzende Zeiten begonnen. Denn Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, fällt in die späten zwanziger Jahre zurück, zumindest statistisch gesehen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist so groß wie zuletzt in der Zeit der Großen Depression. Ganz oben hat sich eine kleine Gruppe in märchenhaftem Reichtum eingerichtet, das ist die sogenannte Ein-Prozent-Gesellschaft, eine Milliardärskaste im Wunderland, der über ein Drittel des Landes gehört. Am unteren Ende werden Lebensmittelmarken verteilt.



Die Wirtschaft boomt seit Jahren, aber die meisten Amerikaner haben nichts davon - eine Lieblingsthese der US-Demokraten ist jetzt amtlich. Im Ende August veröffentlichten Bericht der Statistikbehörde Census Bureau ist ein ernüchternder Blick auf die Gesellschaft zu finden: Die Armutsquote stagniert, die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung steigt, und während die Wirtschaft zwischen 2001 und 2005 um 12,6 Prozent gewachsen ist, fiel das durchschnittliche Haushaltseinkommen um 2,2 Prozent.



Knapp zwei Monate vor den Wahlen zum US-Kongress sind die Zahlen der Statistiker Sprengstoff im Wahlkampf. Es geht um die Frage, wem das glänzende Wirtschaftswachstum - von Republikanern als "Bush-Boom" gefeiert - tatsächlich nützt, und wie es um Chancengleichheit und soziale Mobilität in der US-Gesellschaft bestellt ist. Kurz: Es geht um die Wirklichkeit des American Dream im 21. Jahrhundert.





"Die Wirtschaft ist leistungsstark, produktiv, und sie gedeiht", sagt Präsident George W. Bush. Doch die meisten seiner Mitbürger zeigen sich in Umfragen mit der Wirtschaft unzufrieden - weil sie nicht vom Boom profitieren. Bush sei völlig "losgelöst von der Wirklichkeit", schimpft Star-Ökonom Paul Krugman in der "New York Times". Selbst das wirtschaftsliberale "Wall Street Journal" stellt fest, dass "der Aufschwung viele Amerikaner links liegen lässt". Nicht einmal Bushs neuer Finanzminister mag den Optimismus seines Chefs teilen. "Viele Arbeiter bringen unterm Strich nicht mehr Geld mit nach Hause", sagt Hank Paulson; er war zuvor Chef von Goldman Sachs und hat dort ein Vermögen von geschätzt 700 Millionen Dollar verdient.



Ein Gründungsmythos der Vereinigten Staaten hat arge Schrammen bekommen. Über die Hälfte der Amerikaner glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass es den eigenen Kindern später einmal besser gehen wird. Tellerwäscher bleiben Tellerwäscher, das neue Erfolgsversprechen lautet: vom Millionär zum Milliardär.



Natasha Pearl hatte ihr Schlüsselerlebnis in Sachen Reichtum 1998, als sie als Neuling beim Auktionshaus Sotheby's in New York arbeitete und sich wunderte, dass es im Februar nie Versteigerungen gab. "Darling", erklärte man ihr spitznäsig, "dann sind unsere Kunden doch alle in Palm Beach."



Pearl hielt das für altes Denken und entwickelte umgehend Pläne für eine eigene Agentur. Zielgruppe: Neureiche mit wundersamem Lebensstil, Investmentbanker, Dot.com-Millionäre und Hedgefonds-Manager, die die Welt der Ostküsten-Aristokratie mal unbeholfen zu kopieren, mal großspurig zu übertreffen versuchen - und dabei Hilfe brauchen. Ein sicheres Boomgeschäft, glaubt die "Lifestyle-Managerin".



"Angenommen, Sie haben vier Residenzen, jede mit Koch, Fahrer, Haushälterin, Nanny und so weiter", sagt sie beim Interview zur Teezeit in einem New Yorker Spitzenhotel: "Wie behalten Sie dann den Überblick?"



Nach ein paar Jahren im Geschäft hat sie Gespür für die Nöte ihrer Klientel entwickelt. Sie vermittelt "Estate Manager" für die Verwaltung der Ferienhäuser und diskrete Therapeuten, die behandeln "substance abuse", also die Drogenprobleme der Kids. "Da können Sie schließlich nicht Freunde im Golfclub um Rat fragen", sagt sie. Wo sie billige Poster an den Wänden sieht, schickt sie einen "Art Consultant" vorbei. Bei Bedarf erklärt sie persönlich, warum ein Picasso manchmal eine Million kostet und manchmal 80-mal so viel.
 
Wie viel Honorar darf ein Berater für den Aufbau des Weinkellers verlangen, soll man den Privatjet lieber kaufen oder chartern, ab wann lohnt sich eigenes Sicherheitspersonal? "Es gibt kaum analytisches Denken über solche Probleme", sagt Pearl. Ihre Kunden hätten oft bestens Kontrolle über ihr Berufsleben und ihre Geldanlagen, aber im privaten Bereich schreckten sie vor der Anwendung normaler Geschäftsprinzipien zurück. Man will ja nicht als Erbsenzähler gelten.



13 Milliardäre gab es 1982 in den USA, inzwischen sind es 371; das Durchschnittsvermögen der reichsten Amerikaner ist der "Forbes"-400-Liste zufolge in dieser Zeit von 1,4 Milliarden auf knapp 3 Milliarden Dollar angestiegen. Weltweit wächst die Zahl der Superreichen seit Jahren nahezu ungebremst.



Eine blühende Service-Industrie ist in ihrem Umfeld entstanden. Derzeit besonders en vogue: das eigene "Family Office", ein Büro also, in dem sich vom Finanzchef bis zum Verwalter der Familienanwesen ein ganzer Mitarbeiterstab um sämtliche Probleme und Problemchen kümmert. Faustregel: Es lohnt sich ab einem Vermögen von 100 Millionen Dollar. Dafür vermitteln diskrete Angestellte auch bei so sensiblen Fragen wie der, wer die besten Plätze in der Familiengruft kriegt.



Sippen wie die Rockefellers leisten sich ein solches Büro seit Generationen; inzwischen kommen immer mehr Reiche auf den Geschmack, die Rede ist von über 3000 solcher Einrichtungen allein in den USA. Mitunter tut man sich auch mit anderen Clans zusammen. Das ist dann ein "multi-family-office" und erhöht die Kaufkraft gewaltig.



Die explosionsartige Anhäufung riesiger Vermögen wirft schwerwiegende Fragen auf: Wann und wie erklärt man den Kindern, dass sie niemals arbeiten müssen, wie viel soll man vererben und wie viel spenden? Und grundsätzlich gedacht: Was soll das ganze Geld? Die Multi-Milliarden-Gabe von Warren Buffett an die Gates-Stiftung, sagt Pearl, habe viele zum Nachdenken gebracht: "Das Bedürfnis an Spiritualität ist immens."



Sehr beliebt ist momentan das Aufsetzen einer "Family Mission", eine Art Wertekanon also, der den Reichen und ihren Erben beim Erhalt des Vermögens und vielleicht auch der moralischen Integrität helfen soll. Im New Yorker Ackerman Institute for the Family zum Beispiel können Millionäre auf Sinnsuche ihre ethischen, finanziellen und philanthropischen Werte auf Karteikarten schreiben. Das anschließende Beratungsgespräch soll dann Diskrepanzen zwischen Werten und Wirklichkeit aufzeigen und nach Möglichkeit korrigieren.



Besonders Eifrige formulieren sogar einen "100 Year Family Plan". "Dem Vermögen über Generationen hinweg einen Sinn stiften", nennt das Millionärsfachblatt "Worth Magazine" diese Strategie.



Über 1800 Menschen kostete Hurrikan "Katrina" vorigen Sommer das Leben, Hunderttausende verloren Wohnung und Arbeitsplatz. Aus den Fluten gerettet wurde auch ein kleiner Hund, der später von einem tierlieben Hamptons-Paar adoptiert und Katrina getauft wurde. Zu seinen Ehren fand Mitte August die "Hamptons' Chow Chow Bow Wow"-Party im Anwesen des TV-Stars Chuck Scarborough statt. Das Galafest war eines der vielleicht glanzvollsten des Sommers in Southampton, die Damen spazierten im langen Abendkleid durch den Park, Tickets kosteten bis zu 10.000 Dollar, der Erlös ging an eine Tierschutzorganisation.



Solche Charity-Events gibt es in den mondänen Ferienorten der Ostküste sommers fast jeden Tag; weil es so viele sind, steht schon eine mittelgroße Beraterindustrie sogenannter Philanthropy Consultants bereit; sie helfen den Spendern, einen guten Zweck fürs Gartenfest zu finden, damit nicht nur Hunde bedacht werden. "Menschiness" heißt die edle Gesinnung unter gebildeten Amerikanern.



"Wohltätigkeit ist heute die einzige Möglichkeit zu zeigen, dass man zur Gesellschaft gehört", sagt Steven Gaines, "Erbe und Erziehung spielen keine Rolle mehr."



Gaines ist Buchautor und prominenter Society-Reporter mit 20 Jahren Hamptons-Erfahrung. Wenn man ihn zum Frühstück im Diner "Candy Kitchen" trifft, lernt man nebenbei den Hollywood-Produzenten von "Gosford Park" kennen und bekommt jede Menge Klatsch serviert. Über Anna Anisimowa etwa, jene 21-jährige russische "Aluminium-Prinzessin" ("Prawda"), die für 550.000 Dollar ein Sommerhaus gemietet hat, "abscheuliche" Partys schmeißt und angeblich zur nächsten Paris Hilton werden will. Oder über die Gartenmoden der Neureichen: "Hecken sind out", sagt Gaines; die jungen Wall-Street-Millionäre wollten ihren Reichtum nicht hinter verschlungenen Auffahrten verstecken, "die alte Gesellschaft und ihre Sitten existieren nicht mehr".



In den achtziger Jahren waren Firmenjäger, sogenannte Raider, die Helden des amerikanischen Raubtierkapitalismus; Oliver Stone hat ihnen in "Wall Street" ein Denkmal gesetzt. Später standen Investmentbanker und junge Dot.com-Gründer für die Gier-ist-gut-Philosophie.



Verglichen mit den neuesten Stars aus der Hedgefonds-Industrie wirken sie beinahe wie Lumpenpack. 1,5 Milliarden Dollar hat James Simons, einer der führenden Hedgefonds-Manager, 2005 verdient, sein Kollege Kenneth Griffin hat für seine Hochzeit das Schloss von Versailles gemietet. Steven Cohen legte sich eine Kunstsammlung für 400 Millionen Dollar zu.



Mit Bewunderung statt Neid haben die Amerikaner in der Vergangenheit auf die Reichsten in ihrer Mitte geblickt - und ihnen nachgeeifert.



Ist es mit der Toleranz vorbei, stehen soziale Spannungen bevor. Wird sich im kapitalistischsten Land der Welt der Ruf nach Gerechtigkeit verstärken, wenn die Chancen für den eigenen Aufstieg schwinden?



Vor einiger Zeit beschäftigte sich Oprah Winfrey, Amerikas erfolgreichste TV-Moderatorin (Vermögen: 1,4 Milliarden Dollar), mit diesen Fragen. Zu den Gästen ihrer Show gehörten der 26-jährige Filmemacher Jamie Johnson ("Born Rich"), ein Erbe des milliardenschweren Pharmakonzerns Johnson & Johnson, sowie Nicole Buffett - ihr Großvater Warren ist der zweitreichste Mann der Welt.



Jamie zeigte Ausschnitte seines neuesten Dokumentarfilms "The One Percent", der die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zum Thema hat. Miss Buffett erzählte von den Schrullen ihres Opas - zu denen gehört, dass seine Enkel ihren Lebensunterhalt selbst verdienen müssen. "Geld ist der wichtigste Antrieb in seinem Leben", sagte sie.



Die Offenheit der jüngsten Generation kam nur im Publikum gut an. Warren Buffett, der durch seine Spende an die Gates-Stiftung vor ein paar Wochen Schlagzeilen als zweitgrößter Wohltäter der Menschheitsgeschichte machte, schmiss Nicole, eine Stieftochter seines Sohnes, kurzerhand aus der Familie heraus: "Ich habe dich weder emotional noch legal als Enkel adoptiert", heißt es in einem jetzt publik gewordenen Brief des Milliardärs.



Und die Johnsons erinnerten Jamie an ein nicht nur bei ihnen seit Generationen bewährtes Rezept - nämlich, dass man über Geld nicht spricht.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,437598,00.htmlhttp://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,437598,00.html
 
Ich wollte den Artikel auch posten. Spannendes Thema!



Interessant dazu noch folgenden Artikel:



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Hab mir den Artikel von ben grad im Printspiegel durchgelesen. Echt heftig, wenn man nicht mehr weiß, wohin man spenden soll, damit man sich von seinem Nachbarn abhebt
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Aber Geld allein macht auch nicht glücklich.
 
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