[Spiegel] Des war mol widder nix!

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1997-2007

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Torben Degen
1. FC Kaiserslautern






"Des war mol widder nix!"



Ganz "Lautre" versank am 2. Mai 1998 in Glückseligkeit: Der 1. FC Kaiserslautern gewann die Deutsche Meisterschaft. Doch die Sensation trübte den Blick für die Realität. Die Geschichte des traditionsreichen Fußballvereins ist eine Tragödie. Torben Degen hat sie miterlebt.
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Getty Images



Bedingungsloser Fan : 1. Bundesliga 2002/03, Skeptischer Fan beim Sieg des 1. FC Kaiserslautern über Borussia Mönchengladbach (2:0)



von Torben Degen




Wolken über Kaiserslautern. Es nieselt. Die Stadt färbt sich grau in grau. Günter, der 76-Jährige Brezelverkäufer, der mit seinem kleinen Stand an den Bushaltestellen gegenüber der altehrwürdigen Fruchthalle steht, winkt ab. "Hast du das gesehen gestern?", fragt er mich und winkt ab. Seine Hand wirkt mechanisch, wie ferngesteuert. Jeder seiner Sätze wird unterstützt durch ein automatisiertes Abwinken. "Vielleicht bringt jo de Toppi was!" Gemeint ist Klaus Toppmöller, Rekordtorschütze des 1. FC Kaiserslautern in der Bundesliga, der momentan als georgischer Nationaltrainer arbeitet und "seinem Betze" Hilfe angeboten hat. "Unentgeltlich", wie er in einem Interview betont hatte. Er soll wohl Aufsichtsratsmitglied werden.



"Jo, allein mir fehlt der Glaube", gebe ich kopfschüttelnd zurück und lenke das Gespräch auf den Heimsieg. "Natürlich habe ich das gestern gesehen", sage ich und meine den 2:0-Heimsieg über Erzgebirge Aue. (28.10.2007) "Des war mol widder nix!", nuschelt er mir in seinem unverkennbar westpfälzischen Dialekt zu, während seine linke Hand mein Wechselgeld in der abgewetzten Metallschatulle sucht und er gleichzeitig einem jüngeren Mann im Zweireiher eine Käsestange einpackt.



Der Mann bedankt sich und steuert direkt auf den Eingang der Fruchthalle zu. Jener Halle, in der damals, im Mai 1998 die offizielle Meisterfeier und damit die Krönung eines Malermeisters aus Essen namens Otto Rehhagel zelebriert wurden. Die Fruchthalle wurde vor einiger Zeit renoviert, aber der Glanz der vergangenen Tage bröckelt Jahr für Jahr. Günter schaut mich an, ich nicke nur. Worte sind manchmal einfach überflüssig.



Die "Roten Teufel" stürmen das Olympiastadion



87. Minute im Münchner Olympiastadion: Der heutige FCK-Sportdirektor Michael Schjönberg stieg nach einer Ecke hoch und köpfte den Ball unhaltbar für Bayerns Torwart Oliver Kahn in die Maschen. 1:0 – der FCK siegte beim Meisterschaftsfavoriten Bayern München und legte damit den Grundstock einer Euphorie, die bis zum Titelgewinn anhalten sollte.



Den Rekordmeister zu besiegen war ein Stück Genugtuung für die Fans der roten Teufel. Genugtuung auch für den Trainer. Unvergessen bleibt der Siegestanz Otto Rehhagels, der nach dem Schlusspfiff durch das Olympiastadion hampelte, als wäre er von einer Tarantel gestochen worden. Schließlich war er knapp zwei Jahre zuvor bei den Bayern rausgeflogen. Kurz danach hatte er den FCK in der zweiten Liga übernommen. Es folgte das Meisterstück der Bundesligasaison 97/98.



Die Fakten: Seit dem vierten Spieltag gab der FCK die Tabellenführung nicht mehr ab. Das Fritz-Walter-Stadion war bei jedem Heimspiel ausverkauft und bei den Auswärtspartien waren im Schnitt rund 15.000 Fans mit dabei. Sie schrien ihre Mannschaft förmlich zum Sieg, wenn sich das berühmte "Betze-Feeling" bei einigen Heimspielen zeigte. Die Mannschaft spielte häufig unglücklich, es stand oft Unentschieden und dann kamen die Fans. "Auf geht’s Lautern kämpfen!" donnerte es aus "Lauterns berühmtester Kurve", wie der Stadionsprecher die Westtribüne nannte, Heimat aller eingefleischten FCK-Fans. Und dann ging ein Ruck durch die Mannschaft. Angespornt von dieser bedingungslosen Unterstützung wuchsen sie über sich hinaus und siegten. Gegen Mönchengladbach beispielsweise in der Schlussminute mit 3:2 oder beim unglaublich spannenden 4:3-Erfolg gegen die Hertha aus Berlin, dem Spiel, in dem Stürmer Olaf Marschall per Fallrückzieher das Tor des Monats schoss.



So ist diese Geschichte von der deutschen Meisterschaft auch die Geschichte eines Teams, das zusammenwuchs und zu einer Einheit wurde. Leistungsträger wie Andreas Brehme, Miroslav Kadlec, Olaf Marschall oder auch Ciriaco Sforza, die wunderbar mit Newcomern wie dem Brasilianer Ratinho oder Marian Hristov harmonierten und dabei von jungen Talenten wie beispielsweise Michael Ballack unterstützt wurden. Eigentlich sollte kein Spieler herausgehoben werden, weil es nun mal das oft zitierte funktionierende Kollektiv war, das von Spiel zu Spiel an Stärke und damit auch an Sicherheit gewann. Rehhagel war der unumstrittene Macher auf dem Betzenberg. Was Rehhagel sagte, war Gesetz. Kaiserslautern lebte in einer "Ottokratie".



"Team professionelle Zukunft"



Im Alltag kämpft Kaiserslautern mit zehn Prozent Arbeitslosenquote und dem langsamen, aber stetigen Verfall seines ehemaligen Aushängeschildes. Der 1. FC Kaiserslautern liegt im Jahr 2007 am Boden. Angekommen auf einem Abstiegsplatz in der zweiten Fußball-Bundesliga, der schlechtesten Platzierung des Vereins in der Nachkriegsgeschichte. Ein wirtschaftlicher und sportlicher Abstieg, der mit dem vielleicht größten, aber irgendwie verhängnisvollen Erfolg der "Roten Teufel" begann.



Nach dem Gewinn der Meisterschaft am 2. Mai 1998 herrschte Ausnahmezustand in Kaiserslautern. Tausende Menschen, offizielle Stellen sprechen von mehr als 60.000 Fans, feierten ausgelassen auf den Straßen "ihres" 1. FCK, einen Aufsteiger, der die etablierte Bundesligakonkurrenz düpierte. So etwas hatte es noch nicht gegeben. An diesem 2. Mai 1998, der inoffiziellen Meisterfeier nach dem souveränen 4:0 gegen den VfL Wolfsburg am vorletzten Spieltag, habe ich die Menschen dieser Stadt als glücklich und zufrieden erlebt. Alltagssorgen waren vergessen, allein der FCK zählte. Es war eine Glückseligkeit, die sich seither nicht wieder einstellen sollte. Selbst bei der Fußball-Weltmeisterschaft, die in Kaiserslautern sämtliche Besucherrekorde brechen sollte und ein unglaublich harmonisches Flair in der ansonsten so trüben Arbeiterstadt hervorzauberte, herrschte nicht diese ganz spezielle Stimmung, diese natürliche emotionale Ausgelassenheit.



Während ganz Kaiserslautern feierte, saßen der Meistermacher Otto Rehhagel und seine "Freunde", wie er den Vorstandsvorsitzenden Jürgen "Atze" Friedrich und die restliche Chefetage des Meisters nannte, bei einem guten Glas Rotwein und der obligatorischen Pasta in den Kellerräumen eines Szene-Italieners zusammen und planten die Zukunft. Das "Team professionelle Zukunft" entstand an diesem lauen Mai-Abend. So nannten Friedrich und Co. die Zielvorgabe, "den FCK über Jahre hinweg international zu etablieren." Heute nennen die einen es Größenwahn, die anderen Überheblichkeit. Ich nenne es Dummheit, was die Kaiserslauterer Führungsriege damals beschlossen hatte.



Dem Abgrund entgegen



Spurensuche. Günter, der alte Bretzelverkäufer, würde sagen, dass "die sich all die Dasche vollgemach hän." Was er damit meint, ist die unglaublich fahrlässige Führung eines Wirtschaftsunternehmens von Menschen, die nicht in der Lage waren, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Ich prangere als Fan an, was mit meinem Verein in den Jahren nach der Meisterschaft geschehen ist.



Vetternwirtschaft, Fehlurteile, halbseidene Geschäfte – das alles sind große Schlagworte, die aber leider in der Berichterstattung rund um den FCK Oberhand gewonnen haben. Die Augen waren größer als der Geldbeutel und man verpflichtete einige großartige Spieler mit noch großartigerem Gehalt und dazu noch viele mittelmäßige Akteure, leider nicht mit dem entsprechenden Lohn.



Die Mannschaft wurde qualitativ schlechter, während die Bankkonten der Führungsriege wohl immer praller wurden, was seit Jahren nun auch Gerichte beschäftigt. Fehler wurde gemacht, die schließlich dazu führten, dass der Verein, mittlerweile unter der Führung des Schweizers Rene C. Jäggi, dem Abgrund entgegen taumelte. Selbstanzeige beim Finanzamt, Verkauf des Stadions, und so weiter. Die Liste der Nackenschläge sowohl wirtschaftlicher als auch sportlicher Art ließe sich noch lange weiterführen. Es war wohl mehr als Ironie, als der FCK dann im Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg 2006 den zweiten Abstieg der Vereinsgeschichte besiegelte. Bei jenem VfL Wolfsburg, gegen den das glorreiche Meisterstück unter Dach und Fach gebracht wurde.



Und "Toppi" kommt doch nicht



Die Wolken über Kaiserslautern verdichten sich. Der Nieselregen ist zu starkem Platzregen geworden und Günter schiebt seinen Bretzelstand behäbig die Straße in Richtung Martinsplatz hinab, wo vor knapp zehn Jahren Andreas Brehme die Meisterschale aus einem Cabrio heraus präsentierte.



Während ich an meiner Bretzel knabbere, mich dabei auf mein diesjähriges 25-Jähriges Mitgliedsjubiläum freue und mir vorstelle, wo ich die Urkunde mit der silbernen Ehrennadel zu Hause am Besten hinhänge, bekomme ich eine SMS. Darin steht, dass Klaus Toppmöller den angebotenen Posten im Aufsichtsrat abgelehnt hat. Ich überlege kurz und will gerade zu einem lauten "Günter, warte mal!" ansetzen, als ich die Sinnlosigkeit spüre. Und bevor der Satz meine Lippen verlassen kann, drehe ich mich wieder um und starre auf die Fruchthalle. Worte sind eben manchmal einfach überflüssig.

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Die "Roten Teufel" stürmen das Olympiastadion



87. Minute im Münchner Olympiastadion: Der heutige FCK-Sportdirektor Michael Schjönberg stieg nach einer Ecke hoch und köpfte den Ball unhaltbar für Bayerns Torwart Oliver Kahn in die Maschen.




Knapp daneben ist auch vorbei..
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War's keine Ecke? Hatte ich auch in Erinnerung




Ne, das war ein Freistoß von Sforza.




Und dann ging ein Ruck durch die Mannschaft. Angespornt von dieser bedingungslosen Unterstützung wuchsen sie über sich hinaus und siegten. Gegen Mönchengladbach beispielsweise in der Schlussminute mit 3:2 oder beim unglaublich spannenden 4:3-Erfolg gegen die Hertha aus Berlin, dem Spiel, in dem Stürmer Olaf Marschall per Fallrückzieher das Tor des Monats schoss.


Das war 4:3 war aber schon 1998/99, oder?
 
Der Bericht lässt einen glatt wieder in Wehmut versinken. Es tut so weh das als Fan zu lesen, wenn man von der 98 Meisterschaft so gut wie nix mehr weiß und als Erinnerung daran nur die RAN Kasette bleibt die ich mir seit 2003 (so ca. seit meinem 14.) fast schon regelmäßig angeschaut habe.



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Mein Dad hatte nie dran geglaubt, dass er mal die deutsche Meisterschaft erlebt mit seinem FCK, er hat sie gleich 2 mal erlebt. Auch wenn es noch unrealistischer scheint als je zuvo glaube ich, dass er sie noch ein 3. mal erleben wird und ich wenigstens 1 mal richtig!
 
naja, bevor ich irgendwann mit 100 sterb HOFFE ich, das ich wenigstens mal irgendwann noch einen PS, dM oder mal einen EP sieg erleben darf.. *g*
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naja, bevor ich irgendwann mit 100 sterb HOFFE ich, das ich wenigstens mal irgendwann noch einen PS, dM oder mal einen EP sieg erleben darf.. *g*
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Mir wärs ganz recht, wenn ich den noch in meinen besten jahren des fan daseins erleben würde. (von heute an bis ca. 30) nichts gegen fans über 30 aber mein dad hat auch die familie die vorgeht usw. und da lässts sich bei der finanziellen lage eben nicht mehr so oft auf den betze fahren.. jetz geh ich wenigstens noch jedes Heimspiel hoch (hab ich zumindest vor! und ab nächste saison nehm ich auch die sämtlichen 34 spiele pro saison + dfb pokal in angriff!)
 
Ich hatt's gestern schon im Babbelthread zu w.d.A.s. geschrieben, der Text hört sich viel zu sehr nach kollektivem Kopf-hängen-lassen an. M.M. nach kein Bild das ich gern vom FCK nach außen trag. Allerdings leide ich hier auch ziemlich allein und geh schnell zur Gegenattacke über wenn ich auf die Tabellenposition angesprochen werde.
 
@red wing:



bin fck fan,wie soll ma da gesund leben ? *g*
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@sascha:



auch mit famillie kann man den fck "intensiv" genießen...
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@ramser:



du bist nicht allein...
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