Das Runde muss doch eigentlich nur ins Runde
Ausprobiert: Rollstuhlbasketball oder der Kampf gegen den Gegner, den Ball und das Sportgerät – Ein Besuch bei der Anfängergruppe der Rolling Devils
Von Maria Huber
„So, bitte Platz nehmen.“ Rainer Dietrich lächelt mich an. Ich versuche, das mulmige Gefühl runterzuschlucken, das ich habe, seit ich mich zum Selbsttest angemeldet habe. Ich muss jetzt in den Rollstuhl. Zwei Gedanken schaffen es dann doch, mich ein wenig zu beruhigen: Ich war schon mal drin, bei einer Untersuchung im Krankenhaus, und ein Satz, den Rollstuhlbasketballer oft verwenden: Es ist ein Sportgerät. Okay. Kopfkino ausschalten und rein.
Fühlt sich an wie ein Stuhl mit Seitenwänden. Von da unten ist alles weiter oben. Und ein Gefühl, das vorhin da war, als ich zwischen den Sportlern stand, die mit ihren Stühlen in den Vorraum der Unisporthalle rollten, ist jetzt weg. Das, nicht dazuzugehören und irgendwie ein Fremdkörper zu sein.Jetzt bin ich einer von ihnen und versuche, in die Halle zu rollen. „Einfach Schwung geben“, gibt mir Dietrich noch mit auf den Weg, und weg ist er. Ich drehe am Rädchen – und stecke in der Tür fest. „Passt durch“, verspricht mir Dietrich, der auf mich gewartet hat und jetzt mit anpackt. Zentimeterarbeit, aber er hat recht. Die Räder passen genau durch. Ich parke das Sportgerät am Hallenrand und kann der Versuchung nicht widerstehen, zum Umziehen schnell zu laufen und nicht zu fahren. Muss noch Hose und Trikot überziehen. „Ein rotes und ein schwarzes Shirt mitbringen“, war die Order von Sandra Mierzwa, der Trainerin der Anfängergruppe. Was es damit auf sich hat, werde ich später erfahren. Ich entscheide mich mal für Rot, springe zurück, komme mir auf meinen zwei Beinen etwas seltsam vor und suche meinen Rollstuhl. Er steht verloren in einer Ecke.
Fühlt sich inzwischen nicht mehr ganz so fremd an. Der Ehrgeiz hat mich gepackt. Ich will jetzt mit dem Ding fahren können. Ich greife an den Ring am Rad und schiebe mich vorsichtig nach vorn. „Lange Züge“, gibt mir ein Mitspieler mit auf den Weg, der vorbeisaust, scharf bremst, sich blitzschnell dreht und neben mir herrollt. „Klingt komisch“, stellt er fest und wirft einen kritischen Blick auf die kleinen Rädchen vorn, im Eisenring vor meinen Füßen. „Ist locker“, sagt er und zeigt auf das linke Rädchen. Und sofort startet eine Hilfskette. Es spricht sich in der Halle rum, jeder fragt jeden, und am Ende zaubert Ursula Müller, die Mutter von Baram, einem meiner späteren Mitspieler, ein Werkzeugset aus der Rückentasche eines Rollstuhls. Gekonnt zieht sie die quietschende Halterung fest.
Die Übungsstunde geht weiter. „Lange, kräftige Züge, links drehen, dann geht’s nach links, rechts nach rechts oder seitenverkehrt zurückdrehen, dann geht’s noch schneller.“ Klingt logisch und klappt schonmal ganz gut. „Jetzt bremsen.“ Klappt und macht langsam Spaß. „Beim Bremsen nach vorn beugen, sonst geht’s auf den Rücken“, kriege ich noch als Tipp mit, dann schart Mierzwa die Ihren um sich, und es geht gleich los mit einem Duell. Zwei Teams treten in Reihen gegeneinander an, werfen auf den Korb, der Werfer holt den Ball, gibt ihn dem Nächsten in der Reihe, pro Treffer gibt’s zwei Punkte.
Okay. Rollen, den Ball annehmen, konzentrieren. Wow, ist der Korb hoch. Weicheiregeln gibt’s für Rollstuhlbasketballer eben nicht. Das Brett anvisieren, zielen, werfen. Und drin. Geht doch. Dass gleich der Erste reingeht, hätte ich selbst nicht gedacht. Dass es einer von wenigen Treffern sein würde, die ich an dem Abend überhaupt mache, weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Ich ahne da auch noch nicht, wie schwer es sein würde, zu rollen, den Ball zu dribbeln – er darf nur zwei Armzüge lang auf dem Schoß liegen, dann muss er wieder auf den Boden –, sämtliche Regeln zu beachten und dann auch noch zu treffen.
Viele Übungen, verzweifelte Zweikämpfe, beziehungsweise Drei- oder Vierkämpfe gegen meinen Gegner, den Rollstuhl und den Ball, später, weiß ich das und bewundere meine Mitspieler umso mehr. Andreas Grasmück zum Beispiel, der so locker damit umgeht, dass er nicht richtig laufen kann. Der sich mit seinem schwer beweglichen Straßenrollstuhl durch die Halle kämpft, weil er keinen Sportrollstuhl bezahlt bekommt. Ich bewundere seine Tochter Annika, die laufen könnte, aber einfach mal mit ihrem Vater mitgekommen ist, regelmäßig mittrainiert und Spaß dran hat. Ich bewundere jeden einzelnen von dieser Truppe, allein dafür, dass hier jeder dem anderen hilft, keiner Vorurteile hat und es egal ist, wieviel einer kann oder nicht kann.
Ein Pfiff reißt mich aus meinen Gedanken. Sascha Gergele, der Trainer der zweiten Mannschaft, die im vorderen Hallenteil zeitgleich Spielformen trainiert hat, schart alle um sich. „Wir spielen jetzt“, gibt mir Mierzwa mit auf den Weg. Hoffentlich ich nicht, kann ich noch schnell denken, dann stehe ich schon an der Auslinie und bin erleichtert. Erstmal nur Auswechselspieler. Vielleicht muss ich ja gar nicht. Eine zeitlang kann ich noch hoffen, bis ein Spieler zielgerichtet auf mich zusteuert, keucht und sagt, „rein mit Dir, ich brauch’ ne Auszeit“.
Kneifen geht da nicht, soviel ist klar. Ich schiebe den Stuhl aufs Feld, und schon walzt eine Wand aus drei, vier Spielern in Schwarz auf mich zu. „Mach’ rechts dicht“, brüllt mein Mitspieler, und ehe ich mich versehen kann, sind alle an mir vorbei, der Ball ist im Korb, die Schwarzen jubeln. In einem Wahnsinnstempo geht es weiter. Ich kämpfe gegen Sportgerät, Ball und Gegner und bin heillos überfordert. Schlusspfiff. Keine Ahnung, wer gewonnen hat. Ich glaube die anderen.
Schwer beeindruckt, fasziniert und voller Bewunderung rolle ich aus der Halle, stehe auf, zerlege den Rollstuhl, bin froh, dass ich laufen kann und zieh’ in Gedanken nochmal den Hut vor den Sportlern da drin, von denen keiner jammert, den anderen niedermacht sondern jeder sein Schicksal annimmt, kämpft, dabei den anderen hilft und es schafft, dass selbst der Zuschauer irgendwann vergisst, dass da unten einer Sport treibt und dabei Spaß hat, obwohl er nicht laufen kann.
Zur Sache: Rollstuhlbasketball lernen
Die Rollstuhlbasketballer Rolling Devils gehören dem 1. FC Kaiserslautern an. Die erste Mannschaft ist gerade in die Erste Bundesliga aufgestiegen, die zweite Mannschaft tritt in der Regionalliga an. Sandra Mierzwa trainiert jeden Freitag von 19.30 bis 21.30 Uhr die Anfängergruppe der Rollstuhlbasketballer in der Unisporthalle. Gäste sind willkommen. Rollstühle zum Testen stehen bereit. Gespielt wird viermal zehn Minuten auf einem gewöhnlichen Basketballspielfeld mit normaler Korbhöhe (3,05 Meter). Jedes Team besteht aus fünf Feld- und bis zu sieben Ersatzspielern. Gezählt wird wie beim normalen Basketball. Auch beim Rollstuhlbasketball müssen die Spieler dribbeln, wenn sie den Ball haben. Zieht ein Rollstuhlbasketballer mehr als zweimal am Greifring, ohne zu dribbeln, gilt das als „Schubfehler“ (Schrittfehler). Das Team setzt sich zusammen aus Spielern mit verschiedenen Behinderungen. Auch Nichtbehinderte dürfen mitspielen. Um besser vergleichen zu können, gibt es eine Klassifizierung. Ein Team hat für fünf Spieler insgesamt 14,5 Punkte zur Verfügung. Jeder Akteur wird nach Schwere des Handicaps klassifiziert von 1 Punkt (starkes Handicap) bis 4,5 Punkte (nicht behindert/minimal behindert). (huzl)
Quelle
Ausgabe Die Rheinpfalz - Pfälzische Volkszeitung - Nr. 216
Datum Mittwoch, den 17. September 2014