"Uns fehlt eine ganze Generation"
Von Jochen Stahnke , Kigali
Fünf Fanta vor dem Training und ein Klima, in dem kein Rasen gedeihen will - das sind die kleinen Probleme, mit denen der Deutsche Michael Nees kämpfen muss, seit er die Nationalmannschaft von Ruanda trainiert. Die Spuren des Völkermordes sind auch zwölf Jahre später unübersehbar.
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Was bei Klinsmann funktionierte, wird natürlich auch in Ruanda praktiziert. Patrick Mafisango, gut am blondierten Haupthaar zu erkennen, hat sich ein handgewebtes Geschirr umgeschnallt, das an einem LKW-Reifen befestigt wurde. Gefüllt ist der Reifen mit schweren Ziegelsteinen. Trotzdem ist der nun folgende Sprint beeindruckend. Der eisenharte Innenverteidiger der ruandischen Nationalmannschaft rennt weit über die Ziellinie hinaus, und kegelt mit dem hintendran schleifenden Pneu fast zwei Mannschaftskameraden zu Boden.
Zugwiderstandslauf heißt die Übung in feinstem DFB-Bürokratensprech. In Ruanda nennt man es schlicht Krafttraining. Nur der amerikanische Fitness-Guru fehlt. Ruandas Nationaltrainer Michael Nees macht hier alles selbst - bis auf das Zuggeschirr, das hat ihm ein Schneider in Kigali zusammengenäht. Seit vier Monaten ist der 39-jährige Badener im Amt. Als Oberligaspieler studierte Nees parallel Ethnologie und Sportwissenschaft, später durchlief er sämtliche DFB-Trainerausbildungen. "Ich habe ein großes Interesse an fremden Kulturen",sagt Nees, "und bei einem Angebot, irgendwo als Nationaltrainer zu arbeiten, kann man bei der deutschen Arbeitsmarktlage ja nicht Nein sagen."
Ruanda ist ein fruchtbares Land, regelmäßiger Regenguss und der vulkanische Boden lassen vieles wachsen und gedeihen - nur keinen Rasen. Und so wird auf einem Kraut gespielt, das Rasen am nächsten kommt, zumindest optisch.
Nees' Nationalspieler bewerben sich hier in Kigali um einen Platz in der Startelf für das nächste Spiel gegen Liberia. Das Stadion heißt "Amahoro", Frieden, und das ist Programm. Die Nationalmannschaft soll ethnische Spaltungen vergessen machen und gemeinsamen Patriotismus von Hutu und Tutsi schaffen. Dabei verlangt die Regierung viel von Nees: die Qualifikation zum Afrika-Cup muss wie auch 2004 wieder geschafft werden. Keine leichte Aufgabe gegen starke Mannschaften wie Kamerun oder Liberia.
Die Spieler geben alles. Schon das Warmmachen im Training ist Wettkampf. Höher springen, schneller sprinten, ausladender dehnen. "Zu viel, das ist zu viel", ruft Nees halblaut und auf Deutsch, "jetzt übersäuern sie". Ein anderes Problem sind die Trinkgewohnheiten der Spieler. Nicht Alkohol, sondern Zuckerwasser: "Fünf Fanta vor dem Training gehen einfach nicht", seufzt Nees. Das sei auch schon auf den Seychellen so gewesen, seiner vorherigen Trainerstation. Nees ist ein weltgewandter Mann. Er hat in Togo und dem Sudan Lehrgänge gegeben und auch die japanische Nationalmannschaft beraten.
Und es scheinen sich erstaunliche Parallelen aufzutun: "In Ruanda haben sie fast die gleiche Mentalität wie die Japaner, höflich, aber sehr zurückhaltend." Leider merke man das auch auf dem Platz - kaum einer wolle Entscheidungen treffen. Die Einschätzung verwundert, denn Patrick Mafisango hat im Trainingsspiel kaum aufgehört, seine Nebenleute zusammenzubrüllen. "Ja, der ist auch aus dem Kongo", sagt Nees, während sich der Innenverteidiger die Trainingspause mit Liegestützen verkürzt. In Ruandas Nationalmannschaft finden sich Menschen aus ganz Zentralafrika wieder. Aber jetzt sind alle Ruander.
Vielleicht ist es zu einfach, die ruandische Zurückhaltung auf die schrecklichen Erlebnisse des Völkermordes von 1994 zu beziehen, als innerhalb von kaum hundert Tagen etwa 800.000 Tutsi und oppositionelle Hutu von aufgehetzten Hutumilizen massakriert wurden. Aber die Aufarbeitung ist noch nicht vorbei. So will sich auch Nees nicht nur auf die Nationalmannschaft beschränken. "Uns und nicht nur mir fehlt eine ganze Generation", bemerkt Ruandas Trainer nüchtern. "Menschen, die nicht im Gefängnis sind, sind geflohen, getötet oder verstümmelt. Ich sehe mich ebenso als Sozialarbeiter." Nach dem Studium ging er nach Südafrika, um für ein Fußballentwicklungsprojekt in einer Township in Kapstadt zu arbeiten. Solche Projekte gibt es auch in Ruanda. Nees besucht sie regelmäßig.
Das größte davon befindet sich im Kimisagara-Slum im Südwesten Kigalis; Esperance heißt es, Hoffnung. Gegründet hat es Donatien Nsengimana, ein Überlebender von 1994, heute 35 Jahre alt. Als er nach dem Völkermord aus seinem Versteck im Süden des Landes kroch, wollte er mit anderen Jugendlichen einfach nur Fußball spielen, sagt er. Anschließend erkannte er das soziale Potential, das Fußball haben kann. Schnell wurden Entwicklungshilfeorganisationen aufmerksam. Heute ist Esperance riesig. Zwei Sportplätze und die neue Turnhalle wirken wie eine Insel inmitten der unzähligen dicht an dicht stehenden Hütten auf den Hügeln Kigalis. Der Deutsche Entwicklungsdienst finanziert den Großteil der Anlage.
Nach ethnischer Zugehörigkeit wird hier nicht gefragt, Mädchen und Jungen spielen zusammen, in den Pausen gibt es Unterricht und Aidsaufklärung. Gespielt wird ohne Schiedsrichter: Bei strittigen Situationen wird so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden ist. "Das kann schon mal vierzig Minuten dauern", sagt der zurückhaltende Nsengimana lächelnd. Trotzdem kommen die meisten Jungs in der Hoffnung, Profi zu werden. Einer von ihnen hat es sogar ins Nationalteam von Michael Nees geschafft.
Sozialarbeit ist in Ruanda ohnehin oft ein anderes Wort für Sport. Dass in Kigali immer mehr Fußballplätze entstehen, hat aber auch einen anderen Grund. Denn man hat auch begriffen: Wo Fußball gespielt wird, ist oft auch Geld. Der DFB versprach jüngst ein Fußballinternat in Kigali.
Von Jochen Stahnke , Kigali
Fünf Fanta vor dem Training und ein Klima, in dem kein Rasen gedeihen will - das sind die kleinen Probleme, mit denen der Deutsche Michael Nees kämpfen muss, seit er die Nationalmannschaft von Ruanda trainiert. Die Spuren des Völkermordes sind auch zwölf Jahre später unübersehbar.
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Was bei Klinsmann funktionierte, wird natürlich auch in Ruanda praktiziert. Patrick Mafisango, gut am blondierten Haupthaar zu erkennen, hat sich ein handgewebtes Geschirr umgeschnallt, das an einem LKW-Reifen befestigt wurde. Gefüllt ist der Reifen mit schweren Ziegelsteinen. Trotzdem ist der nun folgende Sprint beeindruckend. Der eisenharte Innenverteidiger der ruandischen Nationalmannschaft rennt weit über die Ziellinie hinaus, und kegelt mit dem hintendran schleifenden Pneu fast zwei Mannschaftskameraden zu Boden.
Zugwiderstandslauf heißt die Übung in feinstem DFB-Bürokratensprech. In Ruanda nennt man es schlicht Krafttraining. Nur der amerikanische Fitness-Guru fehlt. Ruandas Nationaltrainer Michael Nees macht hier alles selbst - bis auf das Zuggeschirr, das hat ihm ein Schneider in Kigali zusammengenäht. Seit vier Monaten ist der 39-jährige Badener im Amt. Als Oberligaspieler studierte Nees parallel Ethnologie und Sportwissenschaft, später durchlief er sämtliche DFB-Trainerausbildungen. "Ich habe ein großes Interesse an fremden Kulturen",sagt Nees, "und bei einem Angebot, irgendwo als Nationaltrainer zu arbeiten, kann man bei der deutschen Arbeitsmarktlage ja nicht Nein sagen."
Ruanda ist ein fruchtbares Land, regelmäßiger Regenguss und der vulkanische Boden lassen vieles wachsen und gedeihen - nur keinen Rasen. Und so wird auf einem Kraut gespielt, das Rasen am nächsten kommt, zumindest optisch.
Nees' Nationalspieler bewerben sich hier in Kigali um einen Platz in der Startelf für das nächste Spiel gegen Liberia. Das Stadion heißt "Amahoro", Frieden, und das ist Programm. Die Nationalmannschaft soll ethnische Spaltungen vergessen machen und gemeinsamen Patriotismus von Hutu und Tutsi schaffen. Dabei verlangt die Regierung viel von Nees: die Qualifikation zum Afrika-Cup muss wie auch 2004 wieder geschafft werden. Keine leichte Aufgabe gegen starke Mannschaften wie Kamerun oder Liberia.
Die Spieler geben alles. Schon das Warmmachen im Training ist Wettkampf. Höher springen, schneller sprinten, ausladender dehnen. "Zu viel, das ist zu viel", ruft Nees halblaut und auf Deutsch, "jetzt übersäuern sie". Ein anderes Problem sind die Trinkgewohnheiten der Spieler. Nicht Alkohol, sondern Zuckerwasser: "Fünf Fanta vor dem Training gehen einfach nicht", seufzt Nees. Das sei auch schon auf den Seychellen so gewesen, seiner vorherigen Trainerstation. Nees ist ein weltgewandter Mann. Er hat in Togo und dem Sudan Lehrgänge gegeben und auch die japanische Nationalmannschaft beraten.
Und es scheinen sich erstaunliche Parallelen aufzutun: "In Ruanda haben sie fast die gleiche Mentalität wie die Japaner, höflich, aber sehr zurückhaltend." Leider merke man das auch auf dem Platz - kaum einer wolle Entscheidungen treffen. Die Einschätzung verwundert, denn Patrick Mafisango hat im Trainingsspiel kaum aufgehört, seine Nebenleute zusammenzubrüllen. "Ja, der ist auch aus dem Kongo", sagt Nees, während sich der Innenverteidiger die Trainingspause mit Liegestützen verkürzt. In Ruandas Nationalmannschaft finden sich Menschen aus ganz Zentralafrika wieder. Aber jetzt sind alle Ruander.
Vielleicht ist es zu einfach, die ruandische Zurückhaltung auf die schrecklichen Erlebnisse des Völkermordes von 1994 zu beziehen, als innerhalb von kaum hundert Tagen etwa 800.000 Tutsi und oppositionelle Hutu von aufgehetzten Hutumilizen massakriert wurden. Aber die Aufarbeitung ist noch nicht vorbei. So will sich auch Nees nicht nur auf die Nationalmannschaft beschränken. "Uns und nicht nur mir fehlt eine ganze Generation", bemerkt Ruandas Trainer nüchtern. "Menschen, die nicht im Gefängnis sind, sind geflohen, getötet oder verstümmelt. Ich sehe mich ebenso als Sozialarbeiter." Nach dem Studium ging er nach Südafrika, um für ein Fußballentwicklungsprojekt in einer Township in Kapstadt zu arbeiten. Solche Projekte gibt es auch in Ruanda. Nees besucht sie regelmäßig.
Das größte davon befindet sich im Kimisagara-Slum im Südwesten Kigalis; Esperance heißt es, Hoffnung. Gegründet hat es Donatien Nsengimana, ein Überlebender von 1994, heute 35 Jahre alt. Als er nach dem Völkermord aus seinem Versteck im Süden des Landes kroch, wollte er mit anderen Jugendlichen einfach nur Fußball spielen, sagt er. Anschließend erkannte er das soziale Potential, das Fußball haben kann. Schnell wurden Entwicklungshilfeorganisationen aufmerksam. Heute ist Esperance riesig. Zwei Sportplätze und die neue Turnhalle wirken wie eine Insel inmitten der unzähligen dicht an dicht stehenden Hütten auf den Hügeln Kigalis. Der Deutsche Entwicklungsdienst finanziert den Großteil der Anlage.
Nach ethnischer Zugehörigkeit wird hier nicht gefragt, Mädchen und Jungen spielen zusammen, in den Pausen gibt es Unterricht und Aidsaufklärung. Gespielt wird ohne Schiedsrichter: Bei strittigen Situationen wird so lange diskutiert, bis eine Lösung gefunden ist. "Das kann schon mal vierzig Minuten dauern", sagt der zurückhaltende Nsengimana lächelnd. Trotzdem kommen die meisten Jungs in der Hoffnung, Profi zu werden. Einer von ihnen hat es sogar ins Nationalteam von Michael Nees geschafft.
Sozialarbeit ist in Ruanda ohnehin oft ein anderes Wort für Sport. Dass in Kigali immer mehr Fußballplätze entstehen, hat aber auch einen anderen Grund. Denn man hat auch begriffen: Wo Fußball gespielt wird, ist oft auch Geld. Der DFB versprach jüngst ein Fußballinternat in Kigali.