Sport und Politik sagen: Chapeau!
Stimmen: Minister Roger Lewentz: „Habe großen Respekt vor der Entscheidung“
DIE RHEINPFALZ hat sich in der Familie und unter wichtigsten Repräsentanten des Sports umgehört, um zu erfahren,
wie sie über den Rücktritt von Miriam Welte denken.
Mutter Alexandra Welte: „Ich sagte zu ihr, ich hätte es schön gefunden, du machst die Olympischen Spielen mit den O, also London, Rio, Tokio. Ich hätte sie gerne noch mal bei Olympia gesehen. Trotzdem: Ich denke, man soll dann aufhören, wenn man für sich den richtigen Zeitpunkt gekommen sieht. Das ist dann der Fall, wenn man merkt, dass die Leidenschaft nicht mehr reicht, um 110 Prozent zu bringen. Es ist für mich okay, dass sie aufhört.“
Trainer Frank Ziegler: „Ich hatte mit Jan van Eijden von 1992 bis 2006 und danach nahtlos mit Miriam zwei ganz herausragende Athleten.
Miriam war absolut strukturiert, zielstrebig, konsequent. Wir haben ihre Karriere gemeinsam geplant, aber sie hat nicht einfach einen Trainingsplan umgesetzt, sie hat ihn hinterfragt. Wir diskutierten. Sie ist wissbegierig und bringt ihre eigene Gedanken ein. Sie hat nun auch ihre Übungsleiterlizenz gemacht. Sie hat auf allen Familienfesten ein Glas Wasser getrunken, und das Glas Wein stehen lassen.“
Lebensgefährte Oliver Schäfer: „Miriam hat absolut die körperlichen Fähigkeiten, weiter zu machen. Aber im Kopf ist sie nicht mehr ganz so bereit, wir haben das oft erörtert, und dann kann sie meines Erachtens nicht mehr den Weg weiter gehen, den sie gegangen ist, nämlich in der Weltspitze vorne mitzufahren. Die drei oder die fünf Prozent dafür fehlen. Ich verstehe, wenn sie sagt, unter diesen Voraussetzungen fahre ich nicht mehr zu Olympia nach Tokio. Es war ein Reifeprozess, mit dem man sich aufgrund des Alters irgendwann halt mal beschäftigt.“
Innen-und Sportminister Roger Lewentz: „Miriam Welte ist eine super erfolgreiche Sportlerin, die weltweit im Bahnradsport große Anerkennung genießt und auch der rheinland-pfälzischen Polizei alle Ehre gemacht hat. Dafür hat sie alle Anerkennung und großen Respekt für ihre Entscheidung verdient. Mich beeindruckt sehr, dass Miriam Welte für sich entschieden hat, sich mitten aus der Erfolgsspur ihrer großen sportlichen Karriere heraus vom Leistungssport zu verabschieden. “
LSB-Präsident Jochen Borchert: „Schade. Mit Miriam geht eines der erfolgreichsten Gesichter, die der rheinland-pfälzische Sport hatte, von der Bühne. Man hatte immer das Gefühl, sie war Teil der Familie. Sie war nie abgehoben. Es ist für sie wahrscheinlich ein wichtiger Schritt.“
Patrick Moster, Sportdirektor des Bundes Deutscher Radfahrer und pfälzischer Landsmann aus Landau, sagte in der WM-Stadt Harrogate: „Ihr Rücktritt kommt sehr überraschend für uns alle. Das hatten wir nicht erwartet, hofften, dass sie bis zur WM in Berlin weitermacht, im besten Fall bis Tokio. Miriam ist eine sehr verdiente Sportlerin. Respekt, wenn sie den Weg frei macht für die Jugend. Wir akzeptieren, wenn sie sich nicht mehr über 100 Prozent motivieren kann. Schade, aber vollstes Verständnis.“
Wilfried de Buhr, der Vorsitzende des 1. FC Kaiserslautern e. V.: „Der 1. FCK ist stolz auf Miriam Welte. Mit dem Olympiasieg und den vielen WM- sowie internationalen und nationalen Titeln ist sie ein absolutes Aushängeschild für unser Land, die Region und unseren Verein. Sie ist dabei immer heimatverbunden und natürlich geblieben. Ein Charakterzug, der sie weit und breit beliebt gemacht hat.“ ku/osp
Kommentar
Die Welt(e)meisterin geht
VON KLAUS D. KULLMANN
Überraschung? Nein! Miriam Weltes Rücktritt ist nachvollziehbar, denn
mit ihren 32 Jahren hat sie alles erreicht. Sie könnte nur noch verlieren.
Für die meisten Experten und Radsport-Sympathisanten kommt Miriam Weltes Rücktritt vor der jetzt beginnenden Weltcupsaison mehr als überraschend. So kurz vor der Heim-WM in Berlin und den Olympischen Spielen in Tokio das Rad an den Nagel zu hängen, das mag auf Unverständnis stoßen. Aber die 32 Jahre alte Athletin ist sich nach 18 intensiven Jahren im Leistungssport bis in die letzte Sekunde treu geblieben: Ihr Entschluss ist mutig, konsequent und nachvollziehbar. Chapeau!
Sie wollte das unbedingt, was viele nicht können: Das Ende des bis dahin wichtigsten Lebensabschnittes selbst festzulegen. Welch ein Glück, wenn man sich diese Freiheit nehmen kann. Kristina Vogel, ihre so geniale Partner im Teamsprint, mit der sie zwei Olympia- und vier WM-Medaillen holte, konnte das nicht. Vogel ist vor 15 Monaten tragisch verunglückt, sitzt querschnittgelähmt im Rollstuhl. Sicher ein außergewöhnlich schlimmes, ein tragisches Karriereende.
Miriam Welte war leistungsbereit bis unter die Haarspitzen, diszipliniert und ehrgeizig, offen für jede technische Entwicklung. Sie konnte sich im Kraftraum unter der Langhantel bis zum Erbrechen quälen, überzeugte auf den Radrennbahnen dieser Welt mit klarem Kopf und schnellen Beinen. Sowohl in einem dreistündigen Training wie in den 18 oder 19 Sekunden, in denen es als Anfahrerin im Teamsprint auf der ersten von zwei Runden ankam. Miriam Welte wusste, was sie wollte und was sie konnte. Das wird auch in Zukunft so sein.
Kann gut sein, dass Bundestrainer Detlef Uibel erst jetzt, nach dem auch für ihn sicher unerwarteten Rücktritt, spürt, was er verloren hat: Eine erwachsene Frau, eine mündige Athletin und eine glaubwürdige Leistungsgarantin. Sie war (und ist) ein sehr aufgeschlossenes Vorbild für die Jugend im Sport, und sie blickt auf eine unfassbare Karriere zurück. Olympiasiegerin, Weltmeisterin, deutsche Meisterin, Weltrekorde, und das alles zigfach. Mal ehrlich: Miriam Welte, die alles erreicht hat, hätte doch nur verlieren können. Sie hat vor Niederlagen nicht gekniffen. Nein, sie hat abgewägt, Für und Wider überdacht. Vielleicht auch, um das zu behalten, was sie eben auch ausgezeichnet: eine Natürlichkeit und Fröhlichkeit, die aufzusaugen einfach nur Spaß machte. 18 Jahre lang. Danke dafür, Miri!
Zur Sache
Erfolg – Erfolg – Erfolg
Miriam Welte, geboren am 9. Dezember 1986 in Kaiserslautern, wo sie auch wohnt, wurde Leichtathletin bei Karl-Heinz Schröder in Otterberg, bis sie Frank Ziegler im August 2011 unter seine Fittiche nahm. Seit 2002 verpasste sie keine deutsche Meisterschaft im Bahnradsport, holte 21 nationale Titel, dazu 15 Mal Silber und 7 Mal Bronze. Seit fünf Jahren startet sie im Trikot des 1. FC Kaiserslautern, seit zwei Jahren führt sie das Bahn-Team Rheinland-Pfalz an.
International startete sie seit 2006 ununterbrochen bei Weltmeisterschaften. Ihre Ausbeute dort: Sechs mal Gold, davon vier Titel im Teamsprint und zwei Titel im 500-m-Zeitfahren, fünf Mal Silber und acht Mal Bronze. Teamsprint-Weltmeisterin war sie mit Kristina Vogel 2012, 2013, 2014 und 2018, als Solistin im Zeitfahren 2014 und 2018.
Radsportstatistiker notieren, dass sie drei Mal einen Teamsprint-Weltrekord fuhr und als erste Deutsche in 10,643 einen Weltrekord über 200 Meter aufstellte. Den deutschen 500-m-Rekord verbesserte sie sieben Mal und steht mit 33,062 Sekunden auf Platz drei der ewigen Weltbestenliste.
Ihren größten Erfolg feierte sie 2012 in London, als sie mit Kristina Vogel Olympiasiegerin wurde. Daraufhin wurde ihr das „Silberne Lorbeerblatt“ der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Nicht viel weniger wert ist die Bronzemedaille des Duos bei den Spielen 2016 in Rio de Janeiro.
In Rheinland-Pfalz ist sie die einzige noch aktive Olympiasiegerin. Natürlich genießt sie in diesem Bundesland hohen Stellenwert, seit 2012 wurde sie fünf Mal zur Sportlerin des Jahres gewählt. Keine Frage: Die Polizei-Oberkommissarin kam natürlich auch im Polizeisport zu Ehren, als Polizeisportlerin des Jahres 2013 in Rheinland-Pfalz und gemeinsam mit Vogel 2018 als Polizei-Mannschaft des Jahres. ku
„Absolutes Aushängeschild“
Stimmen von Weggefährten zum Rücktritt von Bahnrad-Olympiasiegerin Miriam Welte
Die bekannte Bahnradfahrerin Miriam Welte hat so ziemlich alles gewonnen, was man im Radsport gewinnen kann.
Nun beendet sie ihre sportliche Karriere − mit vielen guten Wünschen der Stadt, ihrer früheren Schule und ihren Vereinen.
Wilfried de Buhr, Vorsitzender des 1. FC Kaiserslautern e. V.: Der 1. FC Kaiserslautern ist stolz auf Miriam Welte. Mit dem Olympiasieg und den vielen Weltmeister- sowie internationalen und nationalen Titeln ist sie ein absolutes Aushängeschild für unser Land, die Region und unseren Verein. Sie ist dabei immer heimatverbunden und natürlich geblieben. Ein Charakterzug, der sie beliebt gemacht hat. Ich bin davon überzeugt, dass sie auch in der vor ihr liegenden Zukunft einen erfolgreichen Weg gehen wird – und freue mich darauf, dass wir dich, Miriam, sicherlich häufiger auf dem Betze sehen werden.
Ulrich Becker, Leiter des Heinrich-Heine-Gymnasiums in Kaiserslautern: Ich bedauere Miriam Weltes Entscheidung. Ich hatte gehofft, sie noch einmal bei den Olympischen Spielen in Tokio im nächsten Jahr fahren zu sehen. Ich habe großen Respekt vor ihrer sportlichen Leistung. Sie hat für den Radsport unendlich viel geleistet. Sie war für unsere Nachwuchsfahrer immer ein echtes Vorbild, eine Persönlichkeit, die auch ansprechbar war. Wenn man einmal erlebt hat, wie distanzlos – im positiven Sinne – sie mit unseren Schülern umgegangen ist, das war schon toll. Ich hoffe, dass wir Miriam Welte, in irgendeiner Form, auch an unsere Schule binden können. Sie ist uns schon sehr lange verbunden, hat immer wieder bei uns im Kraftraum trainiert. Dass sie nun einen so klaren Strich zieht, dafür zolle ich ihr Respekt.
Klaus Weichel, Oberbürgermeister: Miriam Welte hat in den vergangenen Jahren unglaublich viel für das Image Kaiserslauterns getan und war sympathisches Gesicht von Stadt und Region mit bundesweiter Strahlkraft. Ihre vielen sportlichen Erfolge sprechen für sich. Mindestens genauso eindrucksvoll ist aber ihr soziales Engagement. Ich bedauere den Entschluss sehr und wünsche alles Gute für die Zukunft!
Theo Augstein, Vorsitzender des RSC Kaiserslautern: Miriam Welte hat als junge Radfahrerin ihre Karriere bei uns begonnen. Sie ist als 15-Jährige 2001 zu uns gekommen. Sie hat einen guten Charakter, ist immer umgänglich. Sportlich ist sie eine absolute Ausnahmeerscheinung, sie hat alles erreicht, was man erreichen kann: Deutsche Meisterin, Europa- und Weltmeisterin, Olympiasiegerin. Nach ihren Olympiasieg wurde sie zum Ehrenmitglied im RSC ernannt. Wenn sie jetzt ihre Karriere beendet, habe ich volles Verständnis. Miriam ist dem Wunsch ihrer langjährigen Radfahr-Partnerin Kristina Vogel gefolgt, nach deren schwerer Verletzung ihre Erfolge mit einer jüngeren Partnerin weiter zu pflegen. Aber nun ist sie 32, die jüngere Konkurrenz rückt nach. Gerade als Sprinterin ist es da schwierig, an der Spitze zu bleiben, das erfordert extrem viel Krafttraining. Das ist eine einzige Quälerei, vielleicht hat sie sich überlegt, dass das Leben noch andere Seiten hat und es Zeit ist, mit der Schinderei aufzuhören.bld/dür/osp
Die Rheinpfalz Pfälzische Volkszeitung - Nr. 222 Dienstag, den 24. September 2019