Entmenschlichende Flüchtlingspolitik - haarsträubende Ablehnungen und Spardiktat

Jonny

Well-Known Member
Entmenschlichte Flüchtlingspolitik – über haarsträubende Ablehnungsgründe und die zahlenfixierte Hochleistungsmaschine BAMF


Die „Flüchtlingskrise“ ist nicht vorbei. Sie wurde nur mithilfe von Unternehmensberatungen bürokratisiert und aus der öffentlichen Wahrnehmung entfernt. Aus sichtbaren, menschlichen Schicksalen wurden Zahlen gemacht. Zahlen, die mithilfe von Methoden zur Effizienzsteigerung oder mit „Prozessbeschleunigungsmaßnahmen“ abgebaut werden sollen. Dabei bleibt das Recht auf Asyl immer häufiger auf der Strecke. Psychisch Kranke, Vergewaltigungsopfer und Kriegsflüchtlinge werden in den Mühlen der auf Effizienz getrimmten Behörden entmenschlicht und zurück ins Elend geschickt. Kurz: Die Bundesregierung macht AfD-Politik – in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst, die Gunst einiger WählerInnen zu verlieren.

(...)


Bei der Bewältigung der „Flüchtlings-(Verwaltungs-)Krise“ setzt die Bundesregierung auf die gleiche oberflächliche Politik wie in anderen Bereichen. Zur Optimierung von Statistiken und zur Effizienzsteigerung werden Arbeitsabläufe beschleunigt bis sich die Balken biegen und es zu Rechtsbrüchen kommt. Schlimmer noch: Ein Bürgerkriegsland wie Afghanistan wird als „Land mit inländischen Fluchtalternativen“ dargestellt. Menschen werden zurück ins Elend geschickt. Ihr Schicksal und der konkrete Einzelfall müssen hinter den schönen Zahlen verschwinden. Ganz ähnlich wie bei der Politik der schwarzen Null und der vermeintlichen Vollbeschäftigung basiert die Bearbeitung der „Flüchtlings-(Verwaltungs-)Krise“ auf Schein-Lösungen. Menschliche Schicksale verschwinden hinter kalten Zahlen oder in den für die Öffentlichkeit meist nicht einsehbaren Mühlen der Bürokratie.


Kompletter Artikel hier frei zugänglich: https://makroskop.eu/2017/05/entmenschlichte-fluechtlingspolitik/
 
Als jemand, der beruflich mit diesem Thema zu tun hat, will ich dazu mal ein paar Bemerkungen machen.

Ja, die machen viele Fehler und sie arbeiten ineffizient. Trotz aller berechtigten Aufregung darüber müssen auch ein paar entscheidende Aspekt im Asylverfahren in solchen Artikeln korrekt dargestellt oder überhaupt auch erstmal erwähnt werden:

1. Das BAMF ist dem Innenministerium unterstellt und als solches Teil der Exekutive. Diese Bescheide, vor denen alle so zittern, sind also rein rechtlich nichts weiter als ein normaler Verwaltungsakt. Heißt: Sagt das BAMF "Nein", heißt das noch gar nichts, denn:

2. Gegen einen Verwaltungsakt kann jeder Betroffene innerhalb von 14 Tagen beim zuständigen Verwaltungsgericht Klage einreichen, da ihm der Rechtsweg offen steht. Die meisten tun das, und zwar nach ausreichender Beratung mit Hilfe eines Rechtsanwalts, von denen die fast alle Ratenzahlung gewähren.

3. Da wir in einem Rechtsstaat mit unabhängigen Gerichten leben, wird im Rahmen einer solchen Klage jeder Einzelfall komplett und von vorne neu bewertet. Jede Seite - und somit auch der abgelehnte Asylbewerber - hat vor dem VerwG die Möglichkeit, seine Position zu vertreten und den Sachverhalt nochmals vorzutragen.

4. Bis ein solches Verfahren vor derm VerwG zum Abschluss kommt, dauert es aufgrund der Überlastung dort in der Regel 6-9 Monate. In dieser Zeit besteht prinzipiell immer die Möglichkeit, durch Fleiß, ein bißchen Glück und/oder Vitamin B einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Für die Dauer einer dreijährigen Ausbildung kann man eine Ausbildungsduldung erhalten. Diese gilt unabhängig vom Gerichtsurteil und blockiert eine Abschiebung.

5. Da wie gesagt die Allermeisten gegen die negativen Bescheide klagen, ist eine Abschiebung letztlich fast immer das Ergebnis eines negativen Gerichtsurteils sowie meistens auch einer Nichteinhaltung der gesetzlichen Mitwirkungspflicht (z.B. bei der Beschaffung von Identitätspapieren). Bis es tatsächlich dazu kommt, vergehen wiederum oft Monate, da bei dieser gesetzlichen Mitwirkungspflicht oftmals Termine beim Heimatkonsulat (für Afghanen z.B. in Bonn) notwendig sind und auch hier wieder lange Wartezeiten entstehen. Hier entsteht wiederum ein Zeitgewinn, der z.B. für das Ergattern eines Ausbildungsplatzes genutzt werden kann.

6. Es ist ebenfalls eine Tatsache, dass bereits im Stadium zwischen ablehnendem Bescheid und VOR Ergehen einer gerichtlichen Entscheidung viele Personen schlichtweg untertauchen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Diese Leute leben als komplett Illegale dann irgendwo in Europa ohne jeden Identitätsnachweis, da sie das Ende des Gerichtsprozesses (welches oft positiv für sie ist) nicht abwarten wollen.

7. "Das BAMF" schiebt niemanden ab und kann dies auch nicht "versuchen". Das BAMF erlässt nur Bescheide. Abschiebungen werden - nach Beendigung aller oben beschriebenen Instanzen - von der Bundespolizei durchgeführt und stellen entweder das negative Endergebnis der Ausschöpfung des Rechtswegs oder aber das Ergebnis versäumter Mitwirkungspflichten der jeweiligen Person dar.

8. Gemessen an der Gesamtzahl der Geflüchteten kommt es immer noch nur in vereinzelten Fällen zu Abschiebungen. In meinem direkten Arbeitsumfeld war das in jetzt zwei Jahren genau EINMAL der Fall (nicht nach Afghanistan).

Fazit: Es gibt für jeden Asylbewerber a) sehr viele Möglichkeiten und b) ein sehr langes Zeitfenster, um auf legale Weise in Deutschland bleiben zu können. Klar ist natürlich, dass die Exekutive in Form der Bundesregierung und des BAMF eine gewisse Zielsetzung verfolgen. Diese kann jedoch immer dort, wo das mit unrechtmäßigen Mitteln verfolgt, durch die Verwaltungsgerichte korrigiert werden - wenn der betroffene den Rechtsweg wählt und das Gericht dies so entscheidet.

Mir sind solche Artikel aus diesen Gründen zu emotional und tendenziös. Genauso wie von AfD- und Rechtspopulisten-Seite wird von links bis extrem links Stimmung mit Ängsten und Gefühlen in den Medien gemacht. Aber unser Rechtstaat funktioniert immer noch und das in diesem Artikel gemalte Horrobild kann ich daher so überhaupt nicht bestätigen.
 
Darauf muss ich antworten, weil du den Eindruck erweckst, ich hätte mir das alles ausgedacht und nicht wochenlang recherchiert.


Zu Punkt 1 und 2:
Ich kenne auch genug Fälle, bei denen die Rechtsanwälte vierstellige Summen gefordert haben. Summen, die wenige Flüchtlinge zahlen können, ohne sich noch einmal bei Verwandten etc. zu verschulden. Und ich habe sogar einen Anwalt im Freundeskreis, der mir ganz unaufgeregt und als wäre es das normalste und sinnvollste der Welt, davon berichtet hat, dass mittlerweile auch Fachanwälte für Erbschaftsfragen oder Scheidungen Flüchtlinge "betreuen". Ist halt ein guter "Markt".


Zu Punkt 3:
Klingt in der Theorie schön und gut. Gibt aber auch Richter, die einfach keine Lust mehr auf diese Fälle haben und dementsprechend entscheiden. Dass teilen die in einigen Städten sogar in Leserbriefen an lokale Zeitungen mit.


Zu Punkt 4:
Zwischen „besteht prinzipiell immer die Möglichkeit“ und „mit Glück, Vitamin B“ ist aber ein höllenweiter Unterschied!


Zu Punkt 6:
„Da sie nicht abwarten wollen“. Ich habe mit mehreren Flüchtlingsberatern gesprochen. Da sitzen teilweise zerstörte Persönlichkeiten (NACH dem BAMF-Entscheid). Dass ist Panik, wenn die untertauchen und nicht Ungeduld.


Zu Punkt 1 und 7:
Du schreibst selbst, dass das BAMF dem Innenministerium unterstellt ist und zur Exekutive gehört. Es ist schlichtweg eine politische Entscheidung, dass es mehr Ablehnungen gibt. Da Flüchtlingsberatungsstellen derzeit absolut überlaufen sind und sich nicht alle Flüchtlinge einen Anwalt leisten können, führt das über kurz oder lang schlichtweg zu mehr Abschiebungen.


Zu Punkt 8:
Es gingen schon 4 Flieger nach Afghanistan. Für mich (nicht als angeblichem Linken, sondern als Mensch) zählt hier der Einzelfall.


Zu deinem Fazit:
Wie gesagt: Es geht hier um Menschen, nicht um Pakete, die falsch zugesendet wurden. Was eine Ablehnung aus haarsträubenden Gründen (→ Afghanen, deren Haus 3x attackiert wurde, die sich aber an die korrupte Polizei hätten wenden können, Vergewaltigungsopfer, die sich laut Ablehnung im Dschungel Kongos nicht hätten waschen können und deswegen laut Ablehnungsbescheid (!) nicht attraktiv genug für die Vergewaltiger erscheinen könnten) mit dem Menschen macht, der diese Ablehnung zugestellt bekommt, ist schockierend. Ich habe solche Leute interviewen können. Und die Berichte aus dem BAMF gingen auch durch die ZEIT und die Süddeutsche Zeitung – stehen als auch in Medien, die du kaum als links abtun kannst - vor allem die ZEIT nicht!


Unser Rechtsstaat mag rein formal perfekt funktionieren. In der alltäglichen Praxis fallen aber Menschen durch das Gitter. Und zwar weil es politisch gewollt ist, weil man hofft, die Zahlen so runterzukriegen.
Von der Überlastung der Verwaltungsgerichte, die du ja auch ansprichst, und der Flüchtlingsberater (das sind keine Ehrenamtler, die das mal so nebenbei machen) ganz zu schweigen.

Edit:
Und weil du die links-rechts Diskussion aufmachst: Bevor jetzt gedacht wird, ich würde von einigen Einzelfälle aus linker Perspektive ein Szenario an die Wand malen, dass nicht existiert: Selbst Mitarbeiter des BAMF, denen man pauschal wohl keine rechte oder linke Gesinnung unterstellen kann, schrieben, dass der Mensch nichts mehr zählt.
 
Warum reagierst Du so emotional angefasst?

Ich erwecke so einen Eindruck doch gar nicht. Ich habe nirgendwo formuliert, dass das alles "ausgedacht" ist. Ich gehe lediglich rein rational an die Sache ran.

Du kannst mir glauben, dass ich in meiner täglichen Arbeit mit Sachverhalten, Schicksalen und Geschichten konfrontiert werde, mit denen die meisten Normalos in unserer Gesellschaft lieber nichts zu tun haben. Mein Beruf hat mich schon mehr als einmal an meine mentalen Grenzen gebracht - gerade aus solchen Geschichten heraus, wie Du sie beschreibst. Und einen Toten hatten wir auch schon. Ich bin täglich mit der gesamten Bandbreite menschlichen Verhaltens und menschlicher Schicksale konfrontiert und die meisten unserer Leute sind eigentlich traumatisiert oder sonstwie geschädigt. Mir fehlt es also ganz sicher nicht an Verständnis oder Anteilnahme.

Aber schon allein deswegen kann und darf ich mir Emotionen in meinem Job nur begrenzt leisten. Sonst mache ich ihn nämlich nicht mehr professionell und zum Schaden derer, für die ich verantwortlich bin. Ich kann und darf in diesem Job nicht emotional oder gar politisch motiviert handeln. Das heißt nicht, dass ich keinen menschlichen und rechtlichen Ermessenspielraum habe, den ich oft genug zusammen mit meinen Kollegen weit ausdehne. Aber es gehört leider auch zu meinem Beruf, dass z.B. Menschen, die einem sehr sympatisch sind, vom BAMF abgelehnt werden. Das ist für mich dann z.B. menschlich sehr schwer, darf aber keine Rolle für meine Arbeit spielen.

Tatsache ist, dass solche Mottos wie von pro Asyl ("Der Einzelfall zählt") sowieso nur die Rechtslage beschreiben, wie sie tatsächlich ist. Jede Gerichtsentscheidung ist eine Einzelfallentscheidung - sonst wäre sie nicht rechtsstaatlich.

Ich verstehe nicht ganz, warum Du bei solchen Diskussionen so emotional angefasst reagierst. Ich bin weder ein rechtes Monstrum, noch bin ich persönlich geworden. Mein Standpunkt passt dir anscheinend ganz und gar nicht - nun, darüber lässt sich trefflich streiten. Das tu' ich mit Dir sogar gern, weil es nämlich immer niveauvoll und fruchtbar ist.

Aber lassen wir doch diese Hitzigkeit. Die bringt nichts.
 
Onkel_Helmut schrieb:
Warum reagierst Du so emotional angefasst?
Wo denn das? Wegen des ersten Satzes meiner Antwort? Die Art und Weise deiner Antwort (Auflistung) hat bei mir den Eindruck erweckt als müsstest du unbedingt Dinge klarstellen, die ich in dem Artikel falsch dargelegt hätte.
Ich bin nicht emotional angefasst. Siehe den anderen Thread, in dem ich schon wieder blödel.
 
Jonny schrieb:
Onkel_Helmut schrieb:
Warum reagierst Du so emotional angefasst?
Wo denn das? Wegen des ersten Satzes meiner Antwort? Die Art und Weise deiner Antwort (Auflistung) hat bei mir den Eindruck erweckt als müsstest du unbedingt Dinge klarstellen, die ich in dem Artikel falsch dargelegt hätte.
Ich bin nicht emotional angefasst. Siehe den anderen Thread, in dem ich schon wieder blödel.
Ja, das und wegen dem Fettgedruckten. Man bekommt den Eindruck du bist geplatzt.
Und das mit der Nummerierung mach' ich oft, einfach weils übersichtlicher ist. Sollte heißen Anmerkung 1, Anmerkung 2 etc.; Und bei manchen Punkten bin ich auch anderer Ansicht, da ich durch meinen Beruf schlicht einen anderen Blickwinkel auf die Sachen habe.
 
Was machst du denn beruflich? Vllt hätte ich dich einfach zusätzlich noch interviewen sollen :wink: Ich habe mich um ein möglichst breites Meinungsbild bemüht und einige (persönliche und Daten-)Quellen aufgetan. Aber aus deinen Anmerkungen entnehme ich auch, dass ich in Zukunft lieber einen nüchternen Artikel und einen (Meinungs-)Kommentar schreiben werde. Ist wahrscheinlich der elegantere Weg.
 
Jonny schrieb:
Was machst du denn beruflich? Vllt hätte ich dich einfach zusätzlich noch interviewen sollen :wink: Ich habe mich um ein möglichst breites Meinungsbild bemüht und einige (persönliche und Daten-)Quellen aufgetan. Aber aus deinen Anmerkungen entnehme ich auch, dass ich in Zukunft lieber einen nüchternen Artikel und einen (Meinungs-)Kommentar schreiben werde. Ist wahrscheinlich der elegantere Weg.

Ich arbeite bei einer unteren Aufnahmebehörde (Landkreis) und leite zusammen mit zwei Kollegen ein Flüchtlingsheim :wink:. Schon von Berufswegen und aus Eigenschutzgründen muss ich daher nüchtern sein. Alles andere ist nämlich auf Dauer selbstzerstörerisch.

Und ja! Artikel und Kommentar trennen ist immer der bessere Weg. Dann ist die Trennung besser, denn ein Kommentar ist ein reines Meinungsbild.
 
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