Dennoch dürfen wir auch einen anderen Charakter nicht außer acht lassen, der dieselbe positive Maskulinität verkörpert wie Snow Snow - seinen Vater, Rhaegar Targaryen. Einen Mann, der seine Jugend in erster Linie mit Bildung und den schönen Künsten verbrachte
("Rhaegar never liked killing. He loved singing."). Nachdem er jedoch die Geschichten von Azor Ahai und "The Prince who was promised" liest, hat er zunächst den Verdacht, dass er dieser Prinz sei, ehe er erkennt, dass eines seiner Kinder der Prinz sein wird.
Er trainiert den Kampf, ohne dass es ihm gefällt - wie später Jon erkennt er, dass dies notwendig ist. Zudem erkennt er auch, dass Elia Martell ihm keinen Sohn mehr gebären kann. Und obwohl er möglicherweise bereits mit Tywin Lannister eine Übereinkunft getroffen haben mag, seinen inkompetenten und völlig verrückten Vater bei Turnier von Harrenhall abzusetzen, erfährt sein Schicksal eine entscheidende Wendung.
Denn sein Vater beauftragt ihn, den "Knight of the Laughing Tree" zu finden, der einen anderen Ritter vor dem Mobbing weiterer Ritter geschützt hatte und den Aerys II in seinem Wahn als seinen Feind ausgemacht hatte. Die offizielle Version ist, dass Rhaegar den Knight nicht finden konnte und lediglich seinem Vater den Schild präsentierte.
Die inoffizielle Version ist, dass es sich bei dem Ritter um Lyanna Stark handelte, die sich als Mann verkleidete und dass Rhaegar erkannte, dass sie die Frau sein sollte, die ihm den Azor Ahai, den "Prince who was promised" gebären würde. Dies erklärt auch sein Verhalten, nachdem er das Turnier von Harrenhal gewann:
"Until he rode right past his wife, Elia Martell, and he laid a crown of winter roses in Lyanna's lap."
Rhaegar entscheidet sich hier bewusst, obwohl er bereits eine andere Frau geheiratet hat, für eine andere Frau - die bereits vergeben ist. Dennoch ist seine Entscheidung richtiger als die von Rob Stark, denn er handelt hier nicht nur für sich selbst: Er weiß, dass Lyanna den Retter der Menschen von Westeros gebären wird und dass diese Entscheidung notwendig ist. Sie ist sein weibliches Ebenbild und beide haben den Mut, sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen zu stellen - nicht nur für sich, sondern in erster Linie für die Zukunft aller Menschen in Westeros. Und beide wissen, dass es ihr Ende bedeuten kann und wird.
"When your brother Rhaegar led his army into the battle of the Trident, men died for him, because they believed in him, because they loved him!"
Alles was Rhaegar wollte war, dass sein Sohn sicher war. Er musste sich Robert am Trident stellen, um Lyanna Zeit zu verschaffen. Und um Robert, der sicherlich ein besserer Kämpfer war, was auch Rhaegar gewusst haben dürfte, so zu schwächen, dass Ned Stark zuerst am Tower of Joy sein würde. Auch deswegen lässt er seine besten Männer der King's Guard, Gerold Hightower und seinen Freund, Arthur Dayn, "the Sword of the Morning" am "Tower of Joy" zurück. Sie sollen sicherstellen, dass Ned derjenige ist, der Lyanna und seinen Sohn finden wird.
"I looked for you on the Trident." (Ned Stark)
"Well, we weren't there." (Arthur Dayn)
"Your friend the Usurpor would be lying on the ground, if we had been." (Gerold Hightower, Commander of the Kingsguard)
"The mad King is dead. Rhaegary lies beneath the ground. Why weren't you there to protect your Prince?" (Ned)
"Our Prince wanted us here" (Arhur Dayn)
Und weiter:"Where is my sister?" (Ned)
"I wish you good fortune in the wars to come" (Arthur Dayn; dieses Zitat zeigt: Er weißt, er wird, soll, und muss sterben und Ned muss, soll und wird überleben)
Und weiter: "And now it begins" (noch immer: Arthur Dayn)
"No, now it ends" (Ned, der nicht weiß, was ihn im Tower of Joy erwartet und was in den Jahren später folgen soll)
Diese Szene ist entscheidend, denn sie verdeutlicht, dass Rhaegar, Lyanna, Arthur und Gerold von Anfang an bereit waren, ihr Leben für das von Jon zu geben. Der einzige, der sich ein bisschen komisch verhält ist Ned, aber er weiß ja noch nicht, was ihn erwarten wird.
Diese Selbsthingabe für ein größeres Ganzes, die nicht nur Rhaegar, Lyanna (!), Arthur und Gerold, sondern auch später Jon Snow auszeichnet, steht nicht nur im Gegensatz zum Verhalten der vorher genannten Charaktere (vielleicht ist Ned Stark hier im Vergleich zu den anderen genannten in gewisser Weise eine positivere Ausnahme, denn auch er opfert viel für Jon, ohne dass große Ganze zu erkennen und ohne seine Vorurteile gegenüber anderen wie Jamie und den Wildlings ablegen zu können - dabei ist Jamie ein deutlich besserer Mann als Robert beispielsweise), sondern ebenfalls zu zwei Charakteren, die eine toxische Maskulinität an den Tag legen, nämlich Robert Baratheon und Petyr Baelish.
Beide zeigen 100% konträres Verhalten zu Rhaegar und Jon, in dem Sinne, das sie nicht nur nicht bereit sind, sich selbst (und die Frau, die sie lieben,) für das große Ganze zu opfern, wenn es notwendig sein sollte, sondern dass sie die entsprechende Frau besitzen wollen, obwohl diese ihre Liebe nicht erwidert. Selbst nach deren Tod können sie nicht von ihr loslassen (Baelish versucht es dann bei Sansa, die ihn an Cat erinnert, Robert nennt Cersey "Lyanna").
Somit zeigt "A Song of Ice and Fire" nicht nur Ideale für eine positive Maskulinität und Gegensätze für eine toxische Maskulinität, sondern auch Repräsentanten für Männer, die nur in wenigen Punkten scheitern (Jaime Lannister, Tywin Lannister, Ned Stark, Rob Stark) und zudem den Prototypen eines klassischen Faschisten und Tyrannen (Stannis Baratheon; die diesem zufliegenden Sympathien sind erschreckend - zugleich zeigt er auch, dass es nur ein schmaler Schritt von einem begründeten Anspruch und einem hehren Motiv zur Dunkelheit ist).
"A Game of Thrones" schließlich schafft es, entsprechend auch feminine Äquivalente für die jeweiligen Charaktere zu finden. Wir sehen hier ebenfalls klassische Tyranninen, Narzistinnen und Faschistinnen, die erstaunlich viel Zuspruch erhalten, Frauen, die nur knapp an einem positiven, femininen Ideal scheitern und Äquivalente zu Rhaegar (Lyanna, dürfte kein Geheimnis mehr sein) und Jon. Der Serie gelingt es, analog zu den männlichen Charakteren, ebenso positiven, starken Feminismus und toxischen Feminimus zu porträtieren. Sie gibt somit auch "jungen" Frauen ein Ideal und viele mahnende Beispiele an die Hand. Ihr könnt euch ja mal selbst überlegen, wer welchem männlichen Äquivalent entspricht.
Von daher sind gerade die letzten beiden Staffeln nicht nur ein würdiger Abschluss der Serie, sondern ein Meisterwerk unser Zeit.
So, ist spät geworden und ihr müsst mir auch nicht zustimmen und könnt gerne widersprechen.
"Night gathers and now my watch begins ..."