Sanfter Bulle
Gabriel Clemens, Star des Darts-Bundesligisten DV Kaiserslautern, startet als einer von vier Deutschen bei der WM in London.
Von Peter-Pascal Portz.
Oasis und ihr „Wonderwall“, die gehören zu England wie Fish and Chips. Nationales Kulturgut, ein Evergreen. Nächsten Sonntag, so um die Mittagszeit, dröhnen die berühmten Songzeilen der Gallagher-Brüder wieder durch den Traumpalast der Darts-Welt. Dichter Kunstnebel, wild mit Pappschildern winkende Fans, bunte Lichtkegel – und mittendrin, unbeeindruckt und im Habitus saarländischer Sorglosigkeit: Gabriel Clemens, 35 Jahre alt. Im Alexandra Palace, Ally Pally. Beim Walk-on auf die größte Dart-Bühne der Galaxie,
kurz vor seinem Debüt bei der am Donnerstag beginnenden Weltmeisterschaft der Professional Darts Corporation (PDC).
„Noch fühl’ ich gar nix“, sagt der Saarwellinger eine Woche vor dem Abflug nach London. „Im Moment bin ich entspannt. Aber ich denke, das wird sich ändern.“ Wird es. „Gaga“ Clemens, einer von vier Deutschen im Londoner Norden, ist in seinem Premierenjahr auf der Profi-Tour – und direkt qualifiziert für das Megaevent.
Rückblick: Noch vor rund einem Jahr reiste der Star von Bundesligist DV Kaiserslautern (DVK) durch die Provinz. Mal ein Turnier in Winnweiler, dann in Merzalben, eine Woche drauf in Bad Kreuznach. Kleingeld für den gelernten Industriemechaniker. Auf einmal, als hätte eine imaginäre Kraft einen Knopf gedrückt, da brach alles über ihn herein. Erst warf er sich in die Superleague, die Liga der größten deutschen Darter mit Aussicht aufs WM-Ticket, dann boxte er sich im Januar durch die PDC-Qualifying-School in Hildesheim. Clemens hatte die Karte. Hieß: beinahe im Wochentakt auf die Insel, zwei Turniere spielen, ab nach Hause. Über 40.000 Pfund hat der DVKler in Jahr eins des Profi-Daseins eingespielt – 2019 sollte sich, bricht er sich nicht gerade den Wurfarm, dermaßen Zaster in der Order of Merit anhäufen, dass die Tourkarte verlängert wird.
Steil ist die Entwicklung. „Das hätte man so vor der Saison natürlich nie erwartet. Dass ich bei der WM dabei bin, war allerdings relativ schnell klar“, erzählt er. Es wird das dritte Major-Turnier sein – nach UK-Open und Players Championship Finals. Auf der kleinen Pro-Tour, nur in Boxen ohne Zuschauer, kämpfte er sich einmal gar ins Finale, verlor gegen Legende Gary Anderson. Wright, Whitlock: Clemens hat einige Virtuosen am Oche zersägt. Als der Fleißigste an der Practice-Scheibe gilt er dabei nicht ...
Er ist kein Typ, der die großen Töne spuckt. Ein Hüne, ja. Bullig, hochgewachsen. Aber einer der ruhigen, der sanften Sorte. In Interviews muss man ihn kitzeln, Bodenständigkeit ist so was wie sein zweiter Vorname. Nur nicht protzen. Im eigentlichen Sinne bedeutet „Profi“, dass man lebt von dem, was man macht – der 35-Jährige ist einer der wenigen PDC-Darter, die noch auf der Arbeit schuften. Am Donnerstag nach London, Sonntag die erste WM-Runde im „Ally Pally“ gegen den eher unbekannten Engländer Aden Kirk (12.30 Uhr britische Zeit), montags wieder zurück. „Ich muss ja dienstags schaffen“, meint Clemens trocken. Und wenn er weiterkommt? „Ich hab’ noch paar Überstunden zum Abbauen.“
So ist er halt. Unbekümmert, gelassen. „Er wird nie nervös“, charakterisierte ihn einst Uwe Schmitt, Captain des DVK, mit dem Clemens zweimal deutscher Meister wurde. Die Coolness legt sich natürlich auf seinen Wurf. Wer im Darts kühlen Kopf bewahrt, dem leisten die Pfeile Gehorsam. Bis 2018 wartete er, Training inklusive, auf den ersten Neun-Darter, das perfekte Spiel, Maßstab aller Profis. Dann haute er ihn zweimal ins Board. In einer Woche. Erst in Idar-Oberstein, später in der Superleague.
Jetzt die Weltmeisterschaft, als Nummer 66 der Welt. Brütend heiß ist es auf der Showbühne, Tausende schreien von den Bänken. „Das kann man nicht beeinflussen. Ich will nur gut spielen, so, dass ich zufrieden bin. Ob ich gewinne oder verliere, ist dann egal“, plaudert Clemens gewohnt locker. Spätestens wenn „Wonderwall“ aus den Lautsprechern erklingt, dann wird er das Kribbeln in der Magengegend spüren.
Quelle Die Rheinpfalz Rheinpfalz am Sonntag West Nord - Nr. 49 Sonntag, den 9. Dezember 2018