Tokio: Entweder 2021 – oder gar nicht
Felix Lill
Nie standen hinter „Tokyo 2020“ mehr Fragezeichen. Werden es durch die Verschiebung auf 2021 wirklich noch die „futuristischsten Spiele“, wie versprochen? Ist die Erzählung der Spiele ohne Kosten für Steuerzahler noch haltbar? Und finden sie überhaupt statt? Alles steht in Zweifel.
Sollte das Virus auch im nächsten Jahr nicht unter Kontrolle gebracht sein, wird es keine Olympischen Spiele von Tokio geben. Nicht im Jahr 2020, nicht 2021, sondern gar nicht. So hat es in der vergangenen Woche Japans Premierminister Shinzo Abe vor dem nationalen Parlament in Tokio gesagt. Inhaltlich wiederholte er damit eine Aussage von Yoshiro Mori, Vorsitzender des Tokioter Organisationskomitees. Der hatte kurz zuvor mitgeteilt, dass die Spiele auf keinen Fall ein weiteres Mal verschoben werden. Eher würde man sie ausfallen lassen.
Zunächst sind solche Statements der Offiziellen vor allem eine Kampfansage. Wie auch das Internationale Olympische Komitee wünschen sich das Tokioter Organisationskomitee und Premierminister Abe eine Sportveranstaltung, die unter dem Banner des Sieges der Menschheit über Covid-19 stattfinden kann. Zugleich betonen Gesundheitsexperten seit Wochen, dass die Austragung von Olympia ohne einen Impfstoff, der nicht nur für Athleten, sondern für alle Zuschauer verfügbar wäre, unrealistisch ist.
Hoch gepokert
Es ist nicht das erste Mal, dass die Veranstalter auffällig hoch pokern. Immer wieder wurden große Versprechen gemacht und Superlative bemüht, häufig stellte sich später heraus, dass sie womöglich nicht eingehalten werden können. So sollte „Tokyo 2020“ das futuristischste Olympia aller Zeiten werden. Die japanischen Veranstalter waren im Vorfeld besonders darauf bedacht zu betonen, dass ihre Spiele offenbar noch etwas moderner werden, als sie an einem anderen Ort hätten werden können. Japan würde als Hochtechnologiestandort strahlen.
So sollten neben 5G-Internet an allen möglichen Orten, neben wasserstoffbetriebenen und autonomen Autos als Transportmittel zwischen den Spielstätten auch Assistenzroboter vor den Stadien beeindrucken. Stattdessen haben Beobachter zu bedenken gegeben, dass durch die nun schwierige wirtschaftliche Lage auch einige Sponsoren ihre Unterstützung aufkündigen oder finanziell reduzieren könnten. In Sachen Finanzen deutlich schwerer wiegt aber eine andere Frage.
Immer wieder haben die Veranstalter betont, „Tokyo 2020“ werde die Steuerzahler nichts kosten. Erst auf Nachfrage betonten die Veranstalter dann, man beziehe sich dabei nur auf die operativen Kosten während der Spiele, also Strom, Catering, Sicherheit und so weiter. Solche Posten würden allesamt mit den Einnahmen durch Sponsoren, TV-Rechte und Tickets finanziert. Die Kosten für Stadionbauten und andere Infrastruktur zähle man dagegen nicht als Kosten, weil die Bevölkerung noch lange in der Zukunft davon profitieren würde.
Zuatzkosten in Milliardenhöhe
Diese viel kritisierte Sichtweise der Offiziellen lässt sich nun kaum mehr darstellen. Durch die Verschiebung fallen Zusatzkosten in Höhe von rund drei Milliarden US-Dollar an. Sie betreffen unter anderem Ausgaben für Sicherheit, Miete, Entschädigungen und weitere Posten. Von ihnen werden die Einwohner von Tokio und Japan kaum langfristig profitieren.
So stehen die Veranstalter zusehends unter Druck. Dies gilt vor allem für Premierminister Shinzo Abe. Seit er Ende 2012 sein Amt antrat, hat er den Japanern versprochen, mit seiner als „Abenomics“ bekannten Wirtschaftspolitik durch hohe Staatsausgaben und eine lockere Geldpolitik neues Wachstum zu bescheren. Weil davon bisher nicht viel zu sehen war, hat er besonders große Hoffnung in erfolgreiche Olympische Spiele gesteckt, die im Jahr 2020 den Rekordwert von 40 Millionen Touristen und damit einen ökonomischen Stimulus bringen sollten. Bisher sieht es so aus, als hätte der Premier immer wieder den Mund etwas zu voll genommen. Mit seiner Äußerung der letzten Woche, dass die Spiele kein weiteres Mal verschoben werden, hat er nun alles auf die Olympia-Karte gesetzt.
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